„Sie spinnt!“, sagt Mutter Rosie über ihre Tochter Uschi, als diese mit ein paar Kühen und einer Geiß für die Sommermonate auf die Alm zieht. Die junge, selbstbewusste Frau ist gern mit sich allein; sie liebt die Abgeschiedenheit inmitten der Natur, geht gerne mit den Tieren um und scheut auch nicht die anstrengende Arbeit. Für Uschi, die zuvor auch schon andere Jobs hatte und auf diversen Reisen viel herumgekommen ist in der Welt, bedeutet das Dasein als Sennerin vor allem Unabhängigkeit. Auf ihre Sehnsucht nach der Alm angesprochen, bekennt sie einmal, „stillesüchtig“ zu sein. Daneben ist ihre vermeintliche Zivilisationsflucht aber auch eine dezidiert ökologische Lebensweise, in der die Bewahrung der Natur mit der Erhaltung einer bestimmten bäuerlichen Kultur einhergeht.
Denn gerade diese steht auf dem Spiel in Matti Bauers einfühlsamer Langzeitdokumentation „Still“, in der der Filmemacher über knapp zehn Jahre hinweg die Bauernfamilie auf ihrem Hof im bayerischen Oberland besucht. Im Verlauf dieser Zeit wird aus dem intimen Portrait einer Frau, die ihren Platz im Leben sucht, immer mehr eine Reflexion über die einschneidenden Veränderungen innerhalb der bäuerlichen Kultur und deren drohenden Verlust. Zwischen Tradition und Moderne ringt Uschi, die im Laufe der Dreharbeiten Mutter wird, mit sich und ihren Eltern um den schwierigen Erhalt des Erbes.
Dabei deutet Matti Bauer die schwelenden Konflikte oft nur an. Unaufdringlich und im scheinbar Nebensächlichen sind sie jedoch stets gegenwärtig, um sich schließlich in Kompromissen, schmerzlichen Verlusten und in neuen Perspektiven auszuprägen. Um eine falsche Idyllisierung des bäuerlichen Lebens zu vermeiden und zugleich die Klassizität des Konflikts zu vermitteln, hat Bauer zusammen mit seinem Bildgestalter Klaus Lautenbacher in Schwarzweiß gedreht. Doch trotz dieser Objektivierung bleibt er immer nahe bei den Portraitierten, die Bauer in einem persönlichen, an die Arbeitsweise des Dokumentaristen Volker Koepp erinnernden Stil befragt und die ihrerseits mal freimütig, mal verhalten in ihrem nicht ganz leicht zu verstehenden bayerischen Idiom Auskunft geben, was schließlich die anvisierte Nähe und Echtheit zusätzlich unterstreicht.