Wie der Baader den Prinzing zu Fall brachte und andere lustige Streiche aus der Festung Stammheim
Ein Schaukampf am Hof des mächtigen Prinzing. Der Baader, obzwar Gefangener, fordert den Burgherrn höchstselbst heraus. Die Turnierregeln schreiben Wortgefechte vor. Hin und her wogt der Kampf. Und da, des Baader geschicktester Streich, fällt der große Prinzing. Erbärmlich nun und komische Figur. Denn er darf nicht mehr mitspielen und schon gar nicht vorsitzen. In der Stammheim-Sprache heißt das: er ist erfolgreich als befangen abgelehnt worden und muss abtreten.
Der Baader, ein junger Siegfried, schiebt sich die blonde Tolle zurück und freut sich des großen Siegs. Da steht er, strahlender Held, in Jeans und offenem Hemd, und schaut auf das Publikum. Die Männer in den schwarzen und roten Roben haben ihre Gewänder sorgsam in Falten gelegt. Und hinten, hinter der Barriere drängen sich die jungen Turniergäste. Kerls in Leder und Frauen mit der kunstvoll frisierten blonden Mähne. So könnten sie 1986 auch im Cafe Daisy in Blankenese sitzen. Und Baader, wie ihn Ulrich Tukur spielt, wäre einer der ihren, Tukur, ein hochbegabter und sehr beliebter Schauspieler, weiß, wie man sich in Szene setzt und wie man den eigenen Mythos schafft. Baader, 'ein ziemliches Schwein, ein Psychopath, ein Verrückter, – ein Mensch, der permanent die Schmerzgrenze überschritt; seine Brutalität, sein kindlicher Charme' (Tukur) wird in der Baader-Rolle als mythische Heldengestalt und als moderner Mensch, der voll im Trend liegt, angelegt. Tukur-Baader, Produkt modernen stylings, lässt sich zweifellos bestens vermarkten. Auch als Held eines Popsongs hätte Baader endlich Aussicht, in die Charts zu kommen. Tukur, freilich, spielt Theater, und Hauff macht aus dem Theater Film. Tukur will Baader 'politische Intentionen hier gar nicht absprechen, aber ich meine, die waren zur Zeit des Prozesses nicht mehr von der überragenden Bedeutung'. Ein wahres Wort.
Baader war zusammen mit seinen Mitgefangenen in Stammheim reduziert auf seine Rolle als Angeklagter, vorgeführt zwecks Ablieferung von Material für die Urteilsfindung. In der Rolle für einen Schauspieler wird Baader mehrmals vorgeführt, diesmal einem für Sprechkünste aufgeschlossenen Theaterpublikum. Und in der Filmvorführung reduziert sich Baader zum dritten Mal, als ästhetische Figur, als Dialoglieferant und als Bedeutungsträger in einer Welt des schönen Scheins. Denn Hauff hat einen gediegenen, redlichen, schönen, ja eleganten Film gemacht, der freilich den Nachteil hat, dass er den Widerstand, von dem so viel gesprochen wird, ästhetisch nicht vermittelt. Glatt, perfekt und supergepflegt sind die Bilder. Diese glauben nicht an das, was Baader, Meinhof, Ensslin, Raspe sagen. Ästhetisch gibt es keinen Widerstand gegen die bürgerlichen Normen. Baader und Meinhof reden ins Leere. Totaler könnte man sie nicht dementieren.
Hauffs Film ist gutgemeint, und er beherrscht das Kunstgewerbe. Aber der Biedersinn fruchtet nichts, im Gegenteil: er schreibt die Strategie der Richter von Stammheim ästhetisch fort und macht aus den Angeklagten, die vor neun Jahren in Stammheim den Tod fanden, heute nature morte, tote Gegenstände, Nippes fürs bürgerliche Interieur. Zum elektronisch verfremdeten Streichquartett gesellt sich ein zager Orgelton. Ulrike Meinhof in gedämpftem Licht. Der Ton blau in blau. Selbst die Farbe ihrer Schreibmaschine passt sich geschmackvoll ein. Das gepflegte Arrangement verrät, dass hier für eine Feier aufgeräumt wurde. Die Totenfeier für Ulrike Meinhof, inszeniert von der Firma Pietät & Takt: ein 'Stammheim'-Stilleben. Und die Ensslin, mit der Geige in der Hand, in der Isolationszelle: sanftes Licht umspielt ihr Antlitz, ihr Blick geht nach innen, Musik – Ja das ist hohe Isolations-Kunst. Ästhetisch sperrt sich nichts gegen diese Szene, im Gegenteil, sie vergoldet das Stammheimer Justizarrangement.
Die Zellen-Szenen ersetzen im Film den Blick hinter die Kulissen. Auf der Bühne selbst, dem Gerichtssaal, wird Theater gespielt, 192 Prozesstage in 107 Filmminuten. Drehbuchautor Stefan Aust hat hierfür das vierte Kapitel aus seinem Buch 'Der Baader Meinhof Komplex' benutzt. – In den Kulissen stellt er anhand von Zellenzirkularen und Briefen, die er zur Verfügung gehabt haben will, gruppendynamische Minispielszenen zusammen. Baader, Meinhof, Ensslin, Raspe – Opfer, die sich nicht mehr wehren können – werden im 'Stammheim'-Film nochmals observiert. Schon damals konnten sie nichts gegen Wanzen und Kameras ausrichten. Heute degradiert sie die bürgerliche Ästhetik des neugierigen Blick-hinter-die-Kulissen zum Gegenstand psychologischen Interesses.
Die Dramaturgie lässt den 'Stammheim'-Schauspielern keine Wahl. Sie müssen vor Gericht auftreten, und dies bühnenwirksam. Das machen sie daher so gut, dass man ihnen nicht glauben kann, was sie sagen,- nämlich dass sie sich im Hungerstreik befänden und verhandlungsunfähig seien. Denn sie sind in bester Bühnenform. Die Schlägereien mit den adretten Polizeibeamten zeugen von gezügelter Spielfreude. Die Kostüme sind gut gewählt, alles clean und propper. Wie sie das alles in 2 1/2 Wochen Drehzeit hingekriegt haben! Alles paletti! Alles Film! Alles frisch!
Das überschnelle, aber gut artikulierte Sprechen der Schauspieler verrät die meisterhafte Beherrschung von Bühnentechnik. Auch der Ton ist makellos. Freilich bedarf es einiger Anstrengung, die Inhalte aufzunehmen. Müheloser ist es da schon, den Weg in die psychische Entgleisung nachzuvollziehen. Man braucht dann nur noch hinzusehen. Drum kann sich der hervorragende Schauspieler Ulrich Pleitgen an die Rampe spielen. Er macht die Rolle des Vorsitzenden Richters Prinzing zu einem Kabinettstück. Als Gegenspieler von Tukur-Baader wird er aufgewertet. Schließlich geht es im 'Stammheim'-Film nur noch um ihn. Fällt er, fällt er nicht? Eine bange Frage. Die Dramaturgie des Films tut dem Richter viel Ehre an. Mit ihm wird die Justiz zur Hauptperson. Rise and fall of Prinzing: das zieht wieder die Aufmerksamkeit ab von dem, was Baader und Meinhof politisch beabsichtigen. Konsequenzen für die Gegenwart ergeben sich aus dem Duell Baader-Prinzing nicht. Der Fall Baader-Meinhof ist damit geschichtlich, dramaturgisch und ästhetisch erledigt. Hauff war zwar mit anderen Absichten an den Film herangegangen ('Der gesamte Komplex ‚Widerstand‘ ist in seiner Problematik aktuell, wie damals'), die von ihm für diesen Film benutzten Mittel der bürgerlichen Kultur haben ihn jedoch ganz woanders hingebracht. Die Mode und der Schick der spätachtziger Jahre haben Baader und Meinhof vereinnahmt. Irgendwann wird es einen Film geben, ein Video, eine Platte, eine Mode, die den Baader-Look und den Meinhof-Touch kreiert. 'Es war Jagd, Krimi, Bonnie und Clyde' (Drehbuchautor Aust). – Im 'Stammheim'-Film wird die Action noch ersetzt durch den Blick in die Baader-Meinhof-Seele. Es ist die falsche Aufklärung. Die Aufklärung, die Aust mit der Wiedergabe authentischen Materials über den Stammheim-Prozess beabsichtigt, scheitert daran, dass er keine Position bezieht. Formell kann er sich darauf zurückziehen, dass er sich mit der Ausbreitung von dokumentarischem Material (der Wiedergabe der Argumente) zufriedengeben kann oder muss. Tatsächlich ist Rede-Stoff auch einigermaßen ausgewogen ausgebreitet, ein jeder kommt zu seinem Wort. Aber der Trick mit dem dokumentarischen Prozess-Film funktioniert nicht. Buchstäblich durch die Hintertür, durch den Blick hinter die Kulissen, treibt das Drehbuch die politischen Kämpfer in die Psychologie und Pathologie: in den Wahnsinn. Eben das war seit Beginn des vorigen Jahrzehnts die Strategie des Staats die Straftäter zu entpolitisieren und den Kriminalfall durch die Justiz und schlimmstenfalls durch die Psychiatrie sauber zu erledigen. Die Richter blockten juristisch ab.
Der 'Stammheim'-Film ästhetisch
So wie der 'Stammheim'-Film funktioniert, ist die Bundesrepublik dieselbe geblieben. Und der Raspe-Spruch ('Die Bundesrepublik wird nach Stammheim nicht mehr dieselbe sein') wird vom Film selbst widerlegt, Jetzt ist es das liberale Bewusstsein, das die Rote Armee Fraktion problemlos vereinnahmt und stillstellt: eine Trophäe, ein Schmuckstück auf dem Vertiko. – Aust spricht von den Sympathien für die Angeklagten, 'auch als sie noch in Freiheit waren: eine Bewunderung für den Mut, die Entschlossenheit, die Konsequenz, mit allem zu brechen, was einem als bürgerliche Norm aufgegeben worden ist'. – Das Drehbuch und erst recht der Film unterlassen jedoch alles, was eine Umsetzung dieser Einsicht bedeutet hätte. Der Film lässt jeden Mut vermissen. Ästhetisch ist keinerlei Konsequenz gezogen, mit dem zu brechen, was den Wort- und Filmemachern als bürgerliche Norm, ein Buch oder einen Film herzustellen, aufgegeben ist. Der normgerechte Film, sein schöner Schein weisen auf Unentschlossenheit, Ängstlichkeit und Sorge ums gute Gewissen hin. Die Form widerspricht dem Inhalt der transportierten Argumentationsketten. Wer zu Wort kommt, hat den zugewiesenen Platz, die Redezeit und die Beschränkungen, wie wir sie von den aktuellen Podiumsdiskussionen kennen.
Ulrike Meinhof und Aust haben Ende der sechziger Jahre gemeinsam bei KONKRET gearbeitet. Heute hat Aust das letzte Wort – und die Kontrolle über das, was Baader und Meinhof gesagt und getan haben. Gefiltert durch Prozess, Buch, Theater und Film: Aust hat Verantwortung für eine Machtposition. Er wird sich fragen lassen müssen, ob es politisch verantwortlich, künstlerisch angemessen und menschlich vertretbar war, Baader-Meinhof im 'Stammheim'-Film ästhetisch zu bannen und politisch zu erledigen. Die ersten Reaktionen auf die geplatzte Premiere am 31. Januar in der Hamburger Kampnagel-Fabrik sprechen dafür, dass der Anspruch, Baader/Meinhof zu kontrollieren, nicht akzeptiert wird und auch nicht durchsetzbar ist. Totale – aber diesmal totale politische – Kontrolle war nach Ansicht Baaders eben der Gegenstand des Stammheim-Verfahrens. ('Gegenstand dieses Verfahrens ist die totale Kontrolle dieses Staates durch die Welt-Innenpolitik des US-Kapitals'). Die gutgemeinten Versuche, diesen Film zu produzieren, gingen über das Thalia Theater in Hamburg und das Hamburger Filmbüro zur Hamburger Wirtschaftsfilmförderung. Die Behörde mit dem Namen 'Filmbewertungsstelle Wiesbaden' vergab dem 'Stammheim'-Film das höchste Prädikat: besonders wertvoll. Und eingeladen wurde 'Stammheim' Ende März 1986 zur Teilnahme am Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele. Was Aust und Hauff ästhetisch vereinnahmten, nimmt auch der Staat in Anspruch. Das führt sicherlich nicht zu der von Baader bezeichneten totalen Kontrolle. Die staatliche Beteiligung hat etwas Versöhnliches an sich. Will der neue Kompagnon teilhaben an der Erledigung und endlichen Bewältigung des 'Baader-Meinhof-Komplexes'? Das Interesse scheint ästhetisch-strukturell vorprogrammiert. Hauff, der in der staatlichen Förderung 'Öffnungen', sieht, die es 'immer noch gibt', müsste sich überlegen, ob es nicht auch umgekehrt geht: Öffnet sich der Film dem Staat? Hat er – Angehörige wie Gottfried Ensslin meinen es – die Funktion, 'bei Normalbürgern endgültig revolutionäre Hoffnung zu zerstören und innerhalb der Linken Spaltung zu betreiben'? (aus einem Flugblatt in der Hamburger Kampnagelfabrik).
Im 'Stammheim'-Film bleibt Tukur Sieger, auch Aust, Hauff, die deutsche Kultur. Wo die Baader-Meinhof-Gruppe abbleibt, das ist tragisch, zum Mitleiden, hoffnungslos und Schicksal. Da können sich alle einig sein. Oder nicht?
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 03/1986