Seit der ersten Ian-Fleming-Adaption von 1962 läuft jeder Bond-Film nach einem identischen Schema ab. Auf einen knackigen Action-Prolog, der jeweils das technisch Machbare ausreizt, folgt die kunstvoll gestaltete Titelsequenz. In einem Zwischenreich zwischen Leben und Tod schweben schematisierte Frauenkörper vorbei, turnen etwa lasziv an einem Revolverlauf wie an einer Reckstange. Als wäre Bond ein Märtyrer, der im Paradies den versprochenen Jungfrauen begegnet.
Daraufhin wird der Agent, der in „Man lebt nur zweimal“ tatsächlich eine Art Wiedergeburt erlebte, mit der neuen Mission betraut. Sein väterlicher Vorgesetzter M mahnt zur Strenge, die mütterliche Sekretärin „Miss“ Monneypenny himmelt ihn an, und der Quartiermeister Q stattet ihn mit den jeweils neuesten technischen Gadgets aus, darunter meist ein Auto und eine Armbanduhr mit Zusatzfunktionen. An exotischen Schauplätzen geht Bond mit ein bis zwei attraktiven Girls ins Bett, die für die Handlung nicht die geringste Rolle spielen. Erst nach einigen Scharmützeln mit einem nicht zimperlichen Grobian trifft er eine Frau, die sein besonderes Interesse erregt – eine geheimnisvolle Schönheit, die auf die auf die eine oder andere Weise mit einem verrückten Wissenschaftler liiert ist, der die Welt erobern will.
Bond begibt sich in den höhlenartigen Stützpunkt dieses Schurken, wo es zum distinguierten Austausch von Höflichkeiten kommt, worauf Letzterer seine unglaublichen Apparate präsentiert und den Agenten dann im Zuge einer kindischen Machtdemonstration töten will. Doch Bond befreit sich, meist mit seiner Armbanduhr, um alles in die Luft zu jagen und sich mit der Frau zu vergnügen. Als er sie einmal heiratet, wird sie erschossen.
Dieses Muster wird auch in „Spectre“, dem 24. offiziellen Bond-Abenteuer, nur geringfügig variiert. Zumindest die ersten Minuten haben es in sich. In einer langen Plansequenz, die Orson Welles’ Eröffnung in „Touch of Evil“ zu übertreffen versucht, taucht die Kamera beim Tag der Toten, einem Karneval in Mexiko, in eine gigantische Menschenenge ein. Alle tragen ein Skelett-Kostüm. Aus diesem furiosen Hingucker entwickelt sich Bonds erste Operation. Mit einer Panzerfaust sprengt der Agent ein Gebäude, das zusammenbricht und ihn selbst dabei zu erschlagen droht. Wie in einem Jump-and-run-Computerspiel muss Bond auf Trümmerstücken balancieren, die immer wieder von neuem wegbrechen. Damit nicht genug, kommt es zu einem Zweikampf in einem Hubschrauber, der dicht über einem Marktplatz mit einer schreienden Menschenmenge dahintaumelt.
Auf dieses Bilder-Stakkato folgt ein vergleichsweise konventionelles Bond-Abenteuer. Da einmal mehr der gesamte Secret Service unterwandert zu sein scheint, muss 007 undercover operieren. Seine ehemalige Vorgesetzte M (Judy Dench), die in der vorangegangenen Episode „Skyfall“ starb, erteilt ihm posthum seinen Auftrag. Erledigt werden muss der Oberschurke, von dem alle Welt glaubt, er sei tot.
Erwartungsgemäß kommt es rasch zum ersten Liebesabenteuer, bei dem Monica Bellucci als Interims-Partnerin einen eher lustlosen Auftritt hat. Nicht minder uninspiriert erscheint der Auftritt des Muskelmanns Dave Bautista als Grobian, der für den Bösewicht im Hintergrund die Schmutzarbeit erledigt. Mit Richard Keel als „Beißer“ in „Moonraker“ oder John Wyman als DDR-Spitzensportler Erich in „In tödlicher Mission“ waren in diesen Rollen schon interessantere Figuren zu sehen.
Und so plätschert das Ganze dahin, bis mit dem großen Bösewicht ein alter Bekannter wieder auftaucht, den man samt seiner weißen Perserkatze bereits im vierten Bond-Film „Feuerball“ gesehen hat. Bei der Besetzung dieses Schurken greifen die Produzenten gerne auf einen Darsteller zurück, der, wie Javier Bardem in „No Country for Old Men“, das Böse neu erfunden hat. In „Skyfall“ verkörperte Bardem den besten Schurken nach Klaus Maria Brandauer. Diesmal fiel die Wahl auf den charismatischen Christoph Waltz, der an seine Performance als sadistischer SS-Offizier in „Inglourious Basterds“ anzuknüpfen versucht. Als durchgeknaller Informations-Tycoon lässt er seinen Widersacher Bond wie so häufig an einen Stuhl fesseln, um ihn mit ferngesteuerten Zahnarztbohrern zu penetrieren. Man hat mehr abgründige Bosheit erwartet, Walz bleibt unter seinen Möglichkeiten.
Eine verlässliche Größe ist allein der gebrochen erscheinende Daniel Craig, der den Martinitrinker etwas anders interpretiert als seine fünf Vorgänger. Bis in die 90er Jahre hinein war der Agent psychologisch ohnehin so flach war wie eine Comicfigur. Erst nach dem Tod des langjährigen Produzenten Albert R. Broccoli gestaltete dessen Tochter Barbara die Figur differenzierter. Der Agent wurde verletzlicher, geheimnisvoller. Avancierte sein letztes Abenteuer „Skyfall“ etwa deswegen zur kommerziell erfolgreichsten Bond-Produktion aller Zeiten, weil 007 hier sogar mit einem Kindheitstrauma ringt?
Dem Zeitgeist entsprechend, soll die Bond-Figur psychologisch mehr durchschattiert werden, dabei aber sich selbst treu bleiben: eine Quadratur des Kreises. Mit etwa 80 verschiedenen Frauen war der kindsköpfige Womanizer während seiner bisherigen Abenteuer im Bett. Und nun soll der Spion, der nicht liebte, plötzlich authentische Gefühle für eine Frau aufbringen. Glaubhaft wirkt das nur, wenn ihm, wie Halle Berry in „Stirb an einem anderen Tag“, eine Frau gegenübertritt, die dem Casanova mehr entgegenzusetzen hat als die Französin Léa Seydoux als vergleichsweise fades Bond-Girl, das in „Spectre“ bloß darauf wartet, dass es von dem Helden aus einer misslichen Lage befreit wird. Hinsichtlich der Frauenfiguren ist der neue Bond ein Rückschritt.
Da auch die Nebenfiguren – mit Ausnahme von Ralph Fines als neuem Vorgesetzen M und Ben Wishaw als Q – nicht wirklich überzeugen, wirkt die psychologisierende, an „Skyfall“ anknüpfende Backstory leider etwas aufgesetzt. Mit zweieinhalb Stunden Spielzeit ist dieser Bond-Film auch entschieden zu lang – und außerdem hapert es mit der Musik. Als Paul McCartney „Live And Let Die“ oder Sheena Easton „For Your Eyes Only“ sangen, lief einem ein Schauer über den Rücken. Der Kastratengesang des Briten Sam Smith, dem Interpreten des aktuellen Titelsongs, passt sich dem Niveau des nicht ganz überzeugenden Bond-Abenteuers an.