Silentium, Stille. Für Menschen, die im Einzugsbereich eines immer weiter wachsenden Flughafens leben, ist allein dieser Titel eine Erholung. Doch dieser Dokumentarfilm erzählt nicht nur von der Stille. Schon mit den ersten Bildern breitet sich eine meditative Ruhe aus. Autor und Regisseur Sobo Swobodnik hat schon vor einigen Jahren eine Reportage über das 750 Jahre alte Kloster Habsthal nahe der schwäbischen Alb verfasst. Nun ist er mit der Kamera zurückgekehrt, um das Leben von vier Ordensschwestern, einem Pater und dreißig Schafen zu dokumentieren.
„Silentium – Vom Leben im Kloster“ ist nicht so radikal wie Philip Grönings Dokumentarfilm „Die große Stille“ von 2005, der den Alltag des Schweige-Ordens der Karthäuser-Mönche im Kloster „Grande Chartreuse“ ohne Musik, Interviews und Off-Kommentare beobachtet. Swobodniks Betrachtungen sind auch nicht so transzendental wie Chris Wrights und Stefan Kolbes Dokumentarfilm „Pfarrer“ von 2014 über ein Priesterseminar in der Lutherstadt Wittenberg. Und sie sind vor allem nicht so bilderwütig wie Jonas Freis und Manuel Schweizers am 6. Juni im Kino startender Dokumentarfilm „Camino de Santiago“, in dem der längst nicht mehr zu den Geheimtipps zählende Jakobsweg mit einer Kamera-Drohne aus der Vogelperspektive abgelichtet wird.
Swobodnik nähert sich dem Ort der Stille mit einer statischen Kamera, die in langen Einstellungen beobachtet, wie eine Nonne den Gang entlang geht. Ohne Worte verstehen wir, dass sie jeden Tag diesen Weg macht, diese Routine aber nie als monoton empfindet. Die Bilder sind farbreduziert und ein wenig blaustichig. Der Kameramann (offenbar der Regisseur selbst) arbeitet mit Gegenlicht, das aus natürlichen Lichtquellen in den Raum fällt und so unglaublich starke Kontraste erzeugt. In ihrer Farbgebung erscheinen die nuanciert kadrierten Bilder wie eine Mischung aus Tarkowskis Tableaus und Kubricks Gummilinsen-Aufnahmen in „Barry Lyndon“: Dies jedoch, ohne dass sich ein Ästhetizismus in den Vordergrund drängen würde.
Dem Regisseur ist es geglückt, die Kontemplation der beobachteten Protagonisten im Bild spürbar, nachempfindbar zu machen. Wenn wir die Priorin Kornelia Kreidler mit gesenktem Blick beim Gebet erleben, dann fließt die von ihr erlebte Stille förmlich aus dem Bild heraus. Neben dieser etwa 50-jährigen Ordensschwester sind drei weitere Benediktinerinnen zu sehen, die wesentlich älter, teilweise schon über 90 sind. Ihre selbst bestimmte Lebensführung trägt wohl dazu bei, dass diese Damen trotz ihres buchstäblich biblischen Alters noch vergleichsweise rüstig wirken. Wer in der Familie einen Pflegefall miterlebt hat, denkt ganz nebenbei über diese altersgerechte Daseinsform nach.
Die Dramaturgie des Films folgt, wie sollte es anders sein, dem Tagesablauf der Nonnen, der – auch keine Überraschung – von Beten und Arbeiten vollends ausgefüllt ist. Die Kamera bemüht sich nicht, unsichtbar zu sein. Gelegentlich wendet sich eine der Ordensschwestern während des Nähens oder Bügelns direkt an den Zuschauer. Im Gegensatz zu konventionellen Dokumentarfilmen werden die Protagonisten nicht interviewt oder ausgefragt. Was sie erzählen, erzählen sie von sich aus. Wir erfahren so nichts über tragische Lebensgeschichten armer schwangerer Frauen, die hinter Klostermauern flüchten mussten.
Die Informationen über die Nonnen selbst und den Konvent, ein Barock-Juwel im Landkreis Ravensburg, bleiben karg, aber das macht Sinn. Im Stil eines plappernden Museumsführers hätte man beispielsweise erzählen können, dass das baufällige Kloster 2009 nur mit großzügigen Spenden vor dem Verfall gerettet wurde. Die damals in Gang gekommenen Renovierungsarbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Man sieht Gerüste und hört gelegentlich Baulärm. Diese Hintergrundinformationen braucht man aber nicht. Man ist nicht abgelenkt und wird so sensibilisiert für die eigentliche „Attraktion“. So wie der Eskimo Dutzende Worte für „Schnee“ kennt, so hört der Film immer wieder neu in die Stille dieses Klosters hinein, die immer wieder etwas anders klingt: Etwa wenn der Prior auf einer altmodischen Stereoanlage Musik auflegt oder mit den Nonnen abends zu einem Brettspiel zusammen sitzt und dabei tatsächlich Lachen zu hören ist. Man denkt sich: ja, das sind Menschen wie du und ich. Indem der Film ihnen auf eine unaufdringliche Art nahe kommt, und die Stille von sich selbst erzählen lässt, schafft er das eindringliche Porträt einer Lebensform, deren Zukunft ungewiss ist.