„Es braucht eine große Klappe und ein dickes Fell, wenn harte Sprüche von der Seite kommen und die eigene Mutter ermordet wird.“ Das sagt das Presseheft über die Geschichte der siebzehnjährigen Sascha (Jasna Fritzi Bauer), die im Hartz-4-Milieu als Tochter einer russischen Spätaussiedlerin aufgewachsen ist. Sie und ihre kleinen Halbgeschwister, deren Vater die gemeinsame Mutter getötet hat, leben nun bei ihrer Tante, eher schlecht als recht betreut. Aber allein schon hier ist man genötigt, das mitzudenken und emotional auszuführen, was der Spielfilm von Bettina Blümner doch oftmals eher nur behauptet und hofft, vermittelt zu haben.
Der Film „Scherbenpark“ ist der Versuch, einen sprachlich vielschichtigen und ziemlich elaborierten Roman (von Alina Bronsky) aus dem „Milieu“ dem Filmischen anzuverwandeln, das heißt, die Innenwelt der Ich-Erzählerin Sascha auf Bilder zu übertragen. Weil Bettina Blümner, die Regisseurin, sich da auskennt, wo „Scherbenpark“ spielt – sie hatte sich bereits mit dem Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“ intensiv und überzeugend jungen Spätaussiedlerinnen gewidmet -, konnte man hoffen, dass diese Erfahrungen im Hintergrund sich auch positiv auf die Inszenierung eines fiktiven Stoffes auswirken. Herausgekommen ist aber nur Schulfernsehen. „Scherbenpark“ ist leider nicht einmal die Hälfte der Summe zweier Teile geworden: Da das Literarische im Film nicht mehr seine tragende Rolle spielen kann, wirkt es, wenn Sascha plötzlich wohlfeil monologisiert anstatt rumzumotzen, was sie die Hälfte der Zeit ja machen muss, um zu beweisen, dass sie taff ist, deplatziert und aufgesetzt, und den genauen Beobachtungen im Buch („Zwei Meter Muskeln und Pickel, Adrenalin, Testosteron und Klebstoffdämpfe …“) können im Film einfach nicht die Kandidaten von der Schauspielschule entsprechen, die dann doch zu hochdeutsch reden, deren Ghettomütze dann doch zu modisch auf die Stirn gerutscht ist. Überhaupt hat man diese Typen, die sich in diesen Betonbuchten in der Nähe des Spielplatzes herumdrücken, schon in mindestens zwanzig vorherigen Milieustudien (von denen 18 Fernsehformat waren) kennengelernt.
Klischee hin oder her, das Hauptproblem von „Scherbenpark“ aber ist, dass kein Problem wirklich erkennbar ist. Sascha kommt 99%ig ungeschoren an den Betonbuchten vorbei, weil die Jungs dann ja doch eher aus dem Otto-Katalog stammen als aus prekären Verhältnissen, und dass ihre kleinen Geschwister nun besonders unter ihrer Tante leiden müssten, bleibt unsichtbar, weil selbige dann doch zu nett und eine etwaige materielle Notlage nicht erkennbar ist. Trotzdem geriert sich Sascha unentwegt hochbetroffen und tut so, als sei alles überhaupt nicht mehr auszuhalten. Das Einzige, was hier noch ans „Ghetto“ und seine Problemgemengelage erinnert, sind die stummen Steine der Hochhäuser und der Beton der Betonbuchten. Man sehnt sich regelrecht nach den authentisch bevölkerten schmutzigen Plattenbauten von „Prinzessinnenbad“.
Dass es dem Fortgang der Geschichte dann auch noch an Wahrscheinlichkeit gebricht, macht die Sache nicht leichter und den Film nicht besser. In einem Zeitungsinterview bereut der einsitzende Stiefvater und Muttermörder Vadim seine Tat zutiefst, was die Film-Sascha, (als kausale Deskription scheint hier wieder einmal die literarische Sascha zu fehlen), die sich geschworen hat, selbigen später umzubringen, so auf die Palme treibt, dass sie spontan die verantwortliche Journalistin zur Rede stellt (stellen kann: Wer bitte darf denn mal eben so in eine Zeitungsredaktion hineinschneien, um auf den Putz zu hauen?). Die ist nicht nur sofort vor Ort, sondern traut sich vor lauter Schuldgefühlen überhaupt nichts zu ihrer Rechtfertigung zu sagen und der zuständige Redakteur (Ulrich Noethen) bereut zutiefst, nicht ohne Sascha jedwede Hilfe anzubieten.
Sascha, nicht faul, aber plötzlich eigentlich nicht mehr am Schicksal ihrer kleinen Halbgeschwister interessiert, mietet sich erst mal beim Redakteur und seinem (ihr ungefähr gleichaltrigen) Sohn Felix (Max Hegewald) ein. Beide, so wirkt es, haben nur auf sie gewartet. Sie haben viel Zeit (Noethen), freundliche Umgangsformen und ein (ziemlich unverhohlenes sexuelles) Interesse (Hegewald) an Sascha, vor allem aber ein bildungsbürgerliches Gegenmilieu für sie parat und für die Entschleunigung von „Scherbenpark“,- die es gebraucht hätte, wenn der Film vorher zu viel Unterschichten-Drive gehabt hätte. So aber fällt die Spannung gänzlich auf den Nullpunkt, und man fragt sich, wieso der Film sich minutenlang mit der Frage beschäftigt, ob Sascha nun zu Felix unter die Decke krabbelt oder nicht und wenn ja, ob mit oder ohne T-Shirt? Weil er nun noch Dr. Sommer-Niveau erreicht hat?
„Scherbenpark“ schafft es leider nicht, hier eher disparat wirkende Stückchen und Szenen aus dem Roman zu einem Ganzen zu verwandeln und vor allem scheitert der Film daran, einen erzählerischen Bogen zu vermitteln, der wiederum sich hätte in einem Spannungsbogen zeigen können. Doch Sascha bleibt zu fremd, ihr Milieu bleibt zu harmlos, ihre Probleme entweder zu übergroß oder zu klein, um spürbar zu werden.