Aus einem Sechsteiler des NDR wurde ein Film gestrickt. Kann das gut gehen?
Zunächst fällt auf, dass jede Art von Konzeption außer der Kinolänge abwesend ist – weder Jahreszeiten noch Geografie bilden ein Gerüst. Geografisch geht es vom Fernen Osten (äußerster Osten der Russischen Föderation) in den Kaukasus (äußerster Südwesten) weiter nach Sibirien (das weite Gebiet von östlich des Urals bis zum Pazifischen Ozean). Nach welchen Kriterien Gegenden des größten Landes der Erde besucht oder auch nicht besucht wurden – an der Wolga oder in Karelien z.B. hätten sich auch interessante Motive gefunden – Schweigen im Walde. Es beginnt mit einem Potpourri. Schneefuchs und Pinguine im eisigen Winterwind auf Kamchatka, eine einsame Pflanze, eine Ente – der Wind heult weiter. Gut befellte Moschusochsen kämpfen und laufen zu Musik.
Flug über verschneiten Nadelwald. „Fliegen wir über Sibirien zum äußersten Ort des Riesenreichs, dem fernen Osten am Pazifischen Ozean.“ Noch einmal zur Geografie: die Halbinsel Kamchatka gehört zum Fernen Osten, liegt nur nördlicher als die Amur-Mündung, dieser ‚äußerste Ort‘. Von diesem wiederum geht es in den äußersten Norden, zur Wrangel-Insel im Nördlichen Eismeer. Oder ist es die Halbinsel Chukotka? Das erfahren wir nicht.
Die Amur-Tiger – deren drohendes Aussterben dem Film gerade mal eine Randbemerkung wert ist -, außer ihnen gibt es dort auch Wölfe. Die heulen, die gehen durch den Schnee. „Jagen“ Zobel – sollte hier gejagt worden sein, haben holpriger Schnitt und Off-Text ihr Möglichstes getan, dies unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Off-Text. Von dem gibt es viel, und er erzählt uns gerne, was wir entweder gerade sehen oder gleich sehen werden. Ansonsten scheinen die Tierlaute mitunter der Geräuschbibliothek entnommen – an sich kein Verbrechen. Wenn es entsprechend umgesetzt wäre, was technisch kein Problem sein sollte. Eigentlich. Auch der Schnitt ist häufig, freundlich gesagt, unbeholfen und trägt nicht zur Glaubwürdigkeit oder gar Atmosphärebildung dieser recht lieblos aneinander gereihten Bilder bei. „Die Reise geht weiter. Wir fliegen über die Vulkane und Gletscher Kamchatkas, 8000 km durch Sibirien Richtung Westen.“
Aufnahmen, von denen unklar ist – ist es noch Kamchatka, eine Zwischenstation in Sibirien oder schon im Kaukasus? Die ausgiebig behauptete Einzigartigkeit der Bilder gibt es nicht. „Der Elbrus, 5640 m, höher als der Montblanc“ – mit entsprechenden Bildern wäre es zu sehen… „Die letzten kaukasischen Steinböcke“ – deren Auftritt: „Einige Tausend.“ Wie viele Tausend denn bitte? Und was unterscheidet sie von anderen Steinböcken? „Ein vergessener Garten Eden.“ Bild: Bäume im Gegenlicht. Einzigartig? „Der Kaukasus ist eine der regenreichsten Regionen Europas.“ Bild: Wolken im Zeitraffer. Überhaupt ein beliebtes Motiv in diesem Film – wer jemals etwas dafür übrig gehabt hat, wird nach diesem Film auf lange Zeit bedient sein.
Wirklich interessant – die windabgewandte Seite des Kaukasus ist eine Wüste. Die 260 m hohe Wanderdüne in Dagestan wirkt in Nahaufnahme und Halbtotale bestenfalls 30 m hoch. Die sich putzende Heuschrecke ist eine der wenigen Beobachtungen, die die nötige Zeit bekommen. Dann wird wieder eine Jagd behauptet, der Igel wird die Heuschrecke am Ende fressen. Geschnitten, dass man meinen könnte, die Macher selbst seien dabei gejagt worden, wie eines der vielen von ihnen gefilmten Tiere.
Im Internet ein Video aus dem gleichem Material, anders geschnitten mit deutlich informativerem Kommentar: http://www.geo.de/GEO/natur/tierwelt/64399.html
Sandsturm. Klar sind es schöne Bilder – aber dürfen wir bitte was über die Auswirkungen auf den Lebensraum erfahren? Man gefällt sich auch in Sexismen. Die Schildkröte – woran erkennen wir eigentlich weibliche oder männliche Tiere? „Sie lässt ihn noch etwas zappeln. Dann kann sie seinem zarten Liebesspiel nicht mehr widerstehen.“ Zart? Er donnert gegen ihren Panzer. „Ihre Dankbarkeit hält sich in Grenzen.“ Wofür auch?
Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen. Wo Information mit der Lupe gesucht werden muss, kann nicht der Atem entstehen, den ein Kinofilm braucht. Dem Vorbild Jacques Perrin können die TV-Filmer nicht ansatzweise das Wasser reichen und die holprigen Versuche, Godfrey Reggios Meisterwerk 'Koyaanisqatsi' zu zitieren, wirken einfach nur grotesk. Dass der gelernte Tierarzt und Kameramann Henry Mix Leiter der Projektgruppe für Natur- und Artenschutz ist, hatte auf den Film kaum Einfluss. Was aus 3,5 Jahren Produktionszeit, 1.200 Drehtagen, 100.000 Reisekilometern und 600 Stunden Rohmaterial gemacht wurde, ist ein Trauerspiel. Teils grandiose Bilder – leider auch mit grandios pathetischer Musiksoße vom Hauskomponisten der DVD-Edition des Spiegel reichlich überschüttet.
Hätte das Team mal eine der vermutlich vielen Wartezeiten auf Moskauer Flughäfen genutzt, ins Krasnogorsker Archiv zu gehen und sich den Dokumentarfilm 'Pamir' ('Sockel des Todes', 1928) von V. Shneiderov über eine Expedition in das gleichnamige Gebirge anzusehen …