In der Filmtheorie zur Psychoanalyse ist die Arbeit mit der Erinnerung eine wesentliche Übung des Kinos. Das Spielfilmdebüt ‚Remainder‘ des israelischen Videokünstlers Omer Fast nach dem Roman von Tom McCarthy nimmt diese Form der Trauerarbeit ganz wörtlich. Protagonist Tom hat nach einem Unfall (ein Metallteil löste sich von der Dachkonstruktion eines Gebäudes) sein Gedächtnis verloren und muss erst wieder mühsam die Bilder in seinem Kopf zusammensetzen. Dabei hilft ihm ein kleines Vermögen von 8 ½ Millionen Pfund, die ihm die Versicherung als Entschädigung gezahlt hat. Die Rückkehr in sein altes Leben wird verkompliziert durch vermeintliche Freunde, an die Tom keine Erinnerung hat, und zwei bewaffnete Männer auf der Suche nach einem Koffer – vermutlich derselbe, der schon in der Eröffnungssequenz eine prominente Rolle spielt.
Fast bringt einen ruhigen, pulsierenden Rhythmus in die klinischen Erinnerungsbilder, und seine Montage dröselt diese mit kühler Analytik auseinander. Um Licht in die Sache zu bringen, heuert Tom eine Consultingfirma an, die ihm bei der Rekonstruktion seiner Vergangenheit helfen soll. Mit Darstellern beginnt er, Szenen aus seiner Erinnerung bis ins kleinste Detail nachzustellen: Gerüche, die Farbe des Himmels, Tauben auf dem Dach des Nachbarhauses. Mit obsessivem Perfektionismus simuliert er die Bilder in seinem Kopf, die als Reizauslöser für seine Erinnerung fungieren sollen. In seinem Wahn schont er weder seine Schauspieler (Gangster spielen Gangster) noch seinen ‚Projektleiter‘ Naz, der ihm, ohne eine Miene zu verziehen, die absurdesten Wünsche erfüllt. Und schon gar nicht sein Bankkonto, das es ihm ermöglicht, ganze Straßenzüge aufzukaufen und notfalls nachzubauen, um an jenen Punkt in seiner Vergangenheit vorzustoßen, an dem sich die Einzelbilder wieder zu einer Geschichte fügen. Der Koffer ist nicht nur der Schlüssel zu dieser Geschichte, sondern auch ihr MacGuffin.
Omer Fast hat die zentralen Themen seiner Videoarbeiten, Identität und die Konstruktion der Wirklichkeit, hier erstmals in einem größeren Rahmen umgesetzt. Ähnlich wie sein Protagonist erweist er sich dabei als versierter Erbauer von Welten. Sein Debüt ist kompliziert verschachteltes Kopfkino im Stile eines Thrillers, wobei die Gedankenprozesse seines Protagonisten interessanter sind als die Auflösung des Rätselspiels. Am Ende verliert sich Fast etwas selbstreferentiell in seinem Bilderlabyrinth, aus dem ihn nur noch die Logik der Möbiusschleife herausführen kann.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 05/2016