„Pornografie & Holocaust“ – was für ein Titel. So subtil wie einige der Exploitationklassiker des italienischen Trashkinos, sagen wir einmal, Joe D’Amatos aka Aristide Massaccesis „Porno holocaust“ („Insel der Zombies“; 1981) oder Cesare Canevaris abseitig-bösartige Geschmacksverirrung „L’ultima orgia del III Reich“ („Gestapo’s Last Orgy“; 1977). Im Original hieß Ari Libskers mit israelischer Filmförderung entstandener Dokumentarfilm seinem Thema gemäß schlicht „Stalags“.
Die „Stalags“ waren Anfang der 60er Jahre in Israel populäre Sexromane, die zu Beginn fast ausnahmslos Variationen desselben Themas erzählten: Ein US-amerikanischer Soldat oder ein Brite gerät während des Zweiten Weltkriegs in deutsche Kriegsgefangenschaft und wird in einem „Stalag“ interniert, einem „Stammlager“ bzw. „Mannschaftsstamm- und Straflager“. Dort stellt er überrascht fest, dass die Aufseher weibliche (!) SS-Angehörige sind. Von diesen wird er dann vergewaltigt und gefoltert. Nach einem langen Martyrium gelingt es ihm, seine Aufseherinnen zu überwältigen und „sexuelle Rache“ zu vollziehen, indem er seine Peinigerinnen vergewaltigt und schließlich tötet. Die Hefte wurden in Israel als Übersetzungen amerikanischer pulp novels vermarktet, stammten jedoch überwiegend von israelischen Autoren, die geschickt den Stil der US-Groschenhefte imitierten. Auch die bunten, handgemalten Cover der „Stalags“ erinnern an die US-amerikanischen Men’s Adventure Magazines der 50er Jahre.
Der deutsche Verleihtitel ist treffend und zugleich nicht. Treffend, da er Libskers Dokumentation über den kurzen Boom der reißerischen „Stalag“-Romane zumindest potentiell um den Blick auf die europäischen Nazi-Sexploitation-Filme der 70er Jahre erweitert, die der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger in seiner gleichnamigen Dissertation als „Sadiconazista“ beschrieben hat. Die „Stalags“, die von 1961, der Zeit des Eichmann-Prozesses, bis etwa 1964 ungemein populär in Israel waren, handelten wie die italienisch-europäischen Sadiconazista von sadomasochistischen Angstlustfantasien, die in Nazi-Gefangenenlagern oder KZs angesiedelt waren. Gemein sind ihnen der pseudohistorische Bezug und die softpornografische Umsetzung.
Wenig hilfreich ist der reißerische und zugleich sehr allgemein gehaltene Titel jedoch, da er gerade durch diese Assoziation verwischt, dass die italienischen Trashfilme dieser Ära aus einem ehemals faschistischen Land kamen und folglich in einen grundsätzlich anderen Rezeptionsrahmen entstanden und konsumiert wurden. Der Schock etwa für einen israelischen Jungen der 60er Jahre, unerwartet bei seinem Vater einen der „Stalag“-Sexromane zu finden, ist nur schwer zu fassen, zumal zu eben dieser Zeit der Eichmann-Prozess im Fernsehen übertragen wurde, der erstmals das ganze Ausmaß des Leidens der Überlebenden der Shoah in den öffentlichen Diskurs der noch jungen Demokratie rückte. Einer von Libskers Interviewpartnern, ein Sammler dieser merkwürdigen Fetisch-Heftchen, erzählt eben diese Geschichte. Sein Gesicht sehen wir dabei nicht, er möchte nicht erkannt werden. Dass dies für ihn jedoch eine bleibende Erfahrung war, steht außer Frage. Für einen anderen Interviewpartner, einen ehemaligen Armeeangehörigen, sind sie schlicht Sexphantasien, wie er sie gerne mit seiner deutschen Freundin auslebt, an der er sich, konsensuell versteht sich, ebenfalls sexuell „rächt“ für das Leid der europäischen Juden. Wieder ein anderer erzählt achselzuckend, dass dies in den frühen 60er Jahren eben die einzige erhältliche (Soft-)Pornografie war, die sie als Jugendliche lesen konnten – eine Tatsache, die in der auch in Deutschland populären 'Eskimo Limon'- oder „Lemon Popsicle“-Reihe („Eis am Stiel“; 1978ff.) am Rand thematisiert wird, wenn einer der Protagonisten in der Badewanne heimlich ein „Stalag“-Heftchen liest.
Der Regisseur hat also ein kontroverses, interessantes Thema für seinen Dokumentarfilm ausgegraben. Doch völlig überzeugt sein Ansatz nicht. Gelungen ist an dem Dokumentarfilm, dass Libsker es sich verkneift, allzu einfache Antworten und Psychologisierungen zu liefern – Projektion, sekundäre Traumatisierung etc. –, die im Rahmen eines solchen Films zwangsläufig nur an der Oberfläche kratzen würden. Trotz zahlreicher Interviews mit Sammlern dieser Hefte, ehemaligen Autoren und Historikerinnen und Historikern, bleibt das merkwürdige Phänomen der „Stalags“ jedoch kaum greifbar. Auch macht es sich Libsker etwas zu einfach, wenn er ähnliche Varianten in den USA oder Europa nicht einmal erwähnt. Zudem sind die Exkurse zu der israelischen Prä-„Stalag“-Holocaustliteratur, etwa des Autors „Ka-Tzetnik“ oder „K. Zetnik“ (ein Pseudonym des Auschwitz-Überlebenden Yehiel Feiner bzw. Yehiel De-Nur) recht unstrukturiert ausgefallen. Nach knapp einer Stunde endet der Dokumentarfilm dann unvermittelt, wobei der Eindruck entsteht, hier hätte noch mehr erzählt werden können. Dennoch ist „Pornografie und Holocaust“ eine über lange Passagen faszinierende und sehenswerte Reise in ein äußerst obskures Kapitel der israelischen Populärkultur, das allerdings nicht als repräsentativ verstanden werden sollte. „Stalags“ waren ein zeitlich äußerst begrenztes Phänomen und nur eine verschwindend kleine Minderheit dürfte sich tatsächlich in die Rolle eines G.I.s fantasiert haben, der einem zur S/M-Fantasie umgedeuteten NS-Terror unterworfen wird.