Die Gegenwart bedeutet Stillstand, den Sam (Yannick Renier) durchbrechen will. Drum begibt er sich auf eine Mission: seine Mutter (Nicole Garcia) töten. Der Film ist ein Roadmovie. Von Frankreich bis in eine spanische Kleinstadt muss die Reise gehen. Dort hat sich die Mutter nach einem Nervenzusammenbruch niedergelassen, weil sich ihr Mann vor 20 Jahren mitten während eines Streits im Auto erschoss. Deswegen kamen Sam und sein Bruder in Pflegefamilien. Das Trauma hat ihn verhärtet, innerlich wie äußerlich. Aber das gilt für sämtliche Figuren der Erzählung.
Sam hat das Geschwisterpaar Léa (Léa Seydoux) und Mathieu (Théo Frilet) per Anhalter mitgenommen. Beide sind scharf auf den unnahbaren, einsamen Wolf. Es gibt nicht viel zu sagen, und das ändert sich auch nicht, nachdem Léa in einem Kaufhaus den prolligen wie feurigen Jeremie (Pierre Perrier) aufgegabelt hat, der das Quartett im Auto komplettiert. Der innere Stillstand bleibt, gegenseitige Ignoranz ist das Bindeglied der versprengten Existenzen. Sozialrealismus will das aber nicht sein. Auch kein Update desillusionierter Befindlichkeit im Adoleszenzwahn. Die Kamera ist zwar nah dran an den Akteuren, ihren Gesichtern und Körpern, besonders wenn sie mit den Augen Mathieus schaut, der jede Handlung mit seiner Videokamera protokolliert. Dadurch hält sie sich die Akteure jedoch auf Distanz und lässt als Gegenpol die offenen Räume für die Figuren sprechen. Die menschenleeren Straßen, das Postkartenidyll der Strände erzählen von Isolation und der Rotation des Begehrens und transferieren Sam als Karikatur des Westerners in eine untaugliche Gegenwart. Unbestechlich folgt er seiner Mission, durchquert das Land mit charismatischem Antlitz für die unumstößliche Rache, im Gepäck jene Pistole, die sein Vater einst für den Selbstmord nutzte. Weder die Poesie der Welt noch das arglose Treiben der jugendlichen Weggefährten um ihn herum können Sam umstimmen. Es gibt einen Moment des Zweifels: Da kehrt er zum Strand zurück, an dem er zuvor das feiernde Trio zurückließ, und lässt sich von Mathieu verführen. Am nächsten Morgen gibt es sogar Tränen und ein kurzes Bekenntnis, der Showdown mit der Mutter jedoch ist trotzdem vorprogrammiert.
So wirklich kühl und distanziert bleibt dies alles nicht. Die Rückblenden zu Sams trauriger Kindheit sind die kausalen Stolpersteine der ansonsten reinen Typologisierung der Psychen und setzen den Kontrapunkt zum ungelebten Leben in der Gegenwart. Was heute hart ist, war früher verletzlich. Mit dieser Binsenweisheit im Anschlag zelebriert Regisseur Sébastien Lifshitz den Stillstand seiner Figuren völlig ironiefrei als Ästhetizismus und Videoclip der schönen, teils schwulen Körper. Dabei fing alles wirklich schön an. Die erste Einstellung gilt der maschinellen Visualisierung des abstrakten Lebens, eines Körpers und einer Identität in spe: dem Ultraschallbild von Léas Baby. Das Gespräch zwischen ihr und der Ärztin außerhalb des Bilds wirkt teilnahmslos. Im Vorspann tanzt Léa dann anzüglich vor ihrem Bruder und dem sichtlich unbeeindruckten Sam. Anstatt diese Leere nun mit der Ikonographie des Westerns aufzuladen und seine archaischen Muster in einen schwulen Clash der Bildproduktionen zu übersetzen, so wie es die Sam-Figur samt ihrer verzweifelten Odyssee verspricht, degradiert der Kamerablick die Körper zum Design letztlich gar nicht mehr so leerer Leidenschaften. Immerhin wollen alle etwas: Léa ihre Schwangerschaft verdrängen, Mathieu ein wenig Liebe und Sam die Vergeltung seines Traumas. Ihr asoziales und undurchsichtiges Verhalten wird lesbar durch die Rückblenden, die alles kausalisieren, historisch aufladen und den Fatalismus der Handlungen zum Schicksal verdichten. Mit dem Western als stilistischen Mehrwert ergibt das nicht die Neucodierung verführerischer Bilder verlogener Geschichten, sondern eine Dissonanz der Erzählstränge mit einem Schuss regressiver Identitätspolitik. Auch schöne Menschen können leiden und werden von ihrer Vergangenheit gequält, aber wenigstens glänzen sie nicht so fettig, wenn man in den Dünen ihre Körper von der Sonne bräunen lässt.
Das finale Duell ist dann der Schock der Einsicht. Die Mutter hat einen neuen Kerl, an Mord ist nicht mehr zu denken, ans Verzeihen ebenso wenig. Wo der verpönte Sozialrealismus nun die Psychiatrie diktiert hätte, folgt im Arthauskitsch die große Geste: Sam entkleidet sich, springt ins Wasser und wäscht sich endlich rein. Narzissmus folgt nun mal anderen Gesetzen.