Pieta

(KR 2012; Regie: Kim Ki-duk)

Schwere Walzen

Die engen, verwinkelten Gassen sind voller Öl und Dreck, Müll und Metallgerümpel. Hinter den blechernen Rolltüren dunkler, stickiger Baracken verbergen sich kleine, verwahrloste Werkstätten, in denen wenige verarmte Kleinunternehmer und Arbeiter an schweren Pressen und Walzen hantieren. Die Arbeitsbedingungen sind hier extrem, das Leben erscheint als eine einzige Plackerei. Nach dem Koreakrieg sorgten diese Manufakturen des Seouler Arbeiterbezirks Cheonggyecheon für den wirtschaftlichen Aufschwung im Land. Doch heute treiben Grundstücksspekulanten den Abriss dieses historischen Viertels voran. Die Hütten und kaputten Häuser ducken sich förmlich unter den mächtigen Türmen der modernen Hochhäuser, die allmählich das Terrain besetzen. In „Pieta“, Kim Ki-duks neuem, preisgekröntem (Venedig, Goldener Löwe) Film über die Unmenschlichkeit des Raubtierkapitalismus, ist dieser Kontrast durchaus sinnbildlich zu verstehen für eine Welt ohne Mitleid. „Was ist der Tod?“, fragt sich desillusioniert ein alter, verschuldeter, von der Modernisierung überrollter Arbeiter, bevor er sich mit einem Sprung in die Tiefe das Leben nimmt.

„Was ist die Natur des Menschen?“, fragt sich wiederum Kim Ki-duk in seinen Filmen. In „Pieta“ taucht er tief ein in diese faszinierend fremde, grausame Welt, die er aus eigener Erfahrung kennt, und findet zunächst nur eine schreckliche Antwort. Denn sein Film ist über weite Strecken eine schockierende Abfolge sadistischer Gewaltexzesse und destruktiver Lebensäußerungen. Deren negative Triebkräfte sind systembedingt und spiegeln die Hierarchie von Gewalt und Gegengewalt, die kein Verzeihen zu kennen scheint. Der Einzelgänger Lee Kang-do (Lee Jung-jin), ein ebenso skrupelloser wie brutaler Geldeintreiber, verkörpert dieses menschenverachtende Prinzip. Seine Schuldner aus den Betrieben von Cheonggyecheon verstümmelt er, wenn sie nicht zahlen können, mit ihren eigenen Maschinen, um ihre Versicherungssumme zu kassieren, und raubt ihnen damit auch noch die Arbeitskraft. In „Pieta“ ist das Verlangen nach Geld der Auslöser für eine Gewalt, die gleichermaßen Seele und Körper zerstört. Für Kim Ki-duk reflektiert sie „die Grausamkeit unseres Daseins in der Welt, in der wir leben.“

Ist der „Teufel, der die Menschen mit Geld verführt“, als der Lee Kang-do einmal bezeichnet wird, „böse geboren“ oder einfach nur „ohne Liebe aufgewachsen“? Zumindest Letzteres scheint der Fall zu sein. Denn eines Tages heftet sich eine schon ältere Frau aufopferungsvoll und scheinbar voller Selbstverachtung an seine Fersen, gibt vor, seine Mutter zu sein und hat für diese Behauptung schwere Demütigungen und Prüfungen zu ertragen. Doch nach einer Phase innerer Revolte beginnt sich bei Lee Kang-do irgendwann etwas zu regen, entwickelt sich allmählich ein Läuterungsprozess, der ihn in eine gefühlsmäßige Abhängigkeit zu dieser Frau setzt, ihn menschlicher werden lässt und damit, quasi als Zeichen davon, auch verwundbar macht. Geradezu roh und archaisch setzt Kim Ki-duk die Begriffe von Schuld und Sühne, Rache und Erlösungssehnsucht ins Bild, indem er die erzähllogischen Koordinaten von Raum und Zeit weitgehend negiert und damit seine Geschichte auf ihren allegorischen Kern verdichtet. Das im Filmtitel aufgerufene Bild der um ihren Sohn trauernden Mutter wird dabei sowohl ambivalent zugespitzt als auch umgekehrt und kulminiert schließlich in der Anrufung Gottes mit der Bitte um Frieden und Erbarmen: „Dona nobis pacem! Kyrie eleison!“, heißt es im ersten Lied des Abspanns. Zwischen religiöser Hoffnung und angedeuteter Menschwerdung bleibt am Ende vielleicht nur noch die Flucht aus den Lebensverhältnissen.

Benotung des Films :

Wolfgang Nierlin
Pieta
Südkorea 2012 - 104 min.
Regie: Kim Ki-duk - Drehbuch: Kim Ki-duk - Produktion: Kim Soon-mo - Bildgestaltung: Jo Yeong-jik - Montage: Kim Ki-duk - Verleih: MFA+ - FSK: ab 16 Jahre - Besetzung: Cho Min-soo, Lee Jeong-jin, Woo Gi-hong, Kang Eun-jin, Jo Jae-ryong, Lee Myung-ja, Heo Joon-seok, Kwon Se-in, Song Moon-soo, Kim Beum-joon, Son Jong-hak, Jin Yong-uk
Kinostart (D): 08.11.2012

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2299842/