Ivan Locke (Tom Hardy) ist ein Mann mit Prinzipien. In seinen Entscheidungen ist er bestimmt, bei seiner Arbeit als Bauleiter agiert er präzise und verantwortungsvoll. Als er am Ende eines langen Tages seine Großbaustelle in Birmingham verlässt, wo für den nächsten Morgen eine gigantische Beton-Lieferung für den Bau eines Hochhaus-Fundaments erwartet wird, ist er müde und erkältet. „ADIO“ lautet die Buchstabenfolge auf dem Kennzeichen seines BMW, was vielleicht ein früher Hinweis darauf ist, dass er als wichtigster Mann bei diesem Unternehmen nicht dabei sein wird. Auch seine Frau Katrina und die beiden Söhne Eddie und Sean, die ihn zur Fernsehübertragung eines Fußballspiels erwarten, werden an diesem Abend vergeblich auf seine Heimkehr hoffen. Denn Ivan Locke ist in ganz anderer Mission unterwegs nach London, wo in einem Kreißsaal die 43-jährige Zufallsbekanntschaft Bethan Maguire ein Kind von ihm erwartet.
„Ich habe keine Wahl“, begründet Ivan gegenüber einem Arbeitskollegen seine unumstößliche Entscheidung. Denn obwohl er die ihm fremde Frau nicht liebt, ist er willens, sich seiner Verantwortung zu stellen und ihr zu helfen. Während seiner anderthalbstündigen nächtlichen Fahrt, die Steven Knights Film „No Turning Back“ (Locke) quasi in Realzeit wiedergibt, kämpft Ivan in einer Art Dauertelefonat, das er über die Freisprechanlage seines Wagens führt, an allen Fronten. Und man kann kaum glauben, dass unser Mann bei so viel emotionalem Stress nicht nur die Fahrtüchtigkeit behält, sondern auch einen klaren Kopf und sich überdies als guter Psychologe erweist. Immer wieder spürt man aber auch die Differenz zwischen den Geschlechtern, wenn Ivan vergeblich um Verständnis bei seiner Ehefrau wirbt oder wenn Bethan Gefühle ausdrückt und verhalten einfordert, die er nicht teilt. Gegenüber seinem Arbeitgeber und bei der gewissermaßen „ferngesteuerten“ Abwicklung seiner Arbeit zeigt er sich wiederum äußerst rational und geradlinig.
Steven Knight spielt mit diesem Topos des männlichen Helden, der die Dinge in die Hand nimmt und seinen Weg geht. Im minimalistischen, kammerspielartigen Setting seines Films geschieht dieses Handeln paradoxerweise auf engstem Raum. Ivan vollzieht Kommunikationshandlungen, während er sich, wie ein Gefangener eingeschlossen in einem Käfig, fortbewegt. Der Ingenieur ist ein Mann des Bauens, dessen private Existenz gleichzeitig bröckelt. Jenseits dieser Metaphorik, deren ziemlich forcierte filmische Konstruktion man als Zuschauer akzeptieren muss, reflektiert Steven Knight in seinem ausgeklügelten Drehbuch aber auch die Frage nach Schuld und Verantwortung, die sich im Falle des Protagonisten aus einer schwierigen Vater-Sohn-Geschichte speist. Von den Stimmen seines Lebens umgeben, transportiert Ivan Lockes nächtlicher Trip nicht zuletzt eine Stimmung aus Anonymität und Einsamkeit. Diese wird durch ein atmosphärisch dichtes, von zahlreichen Spiegel- und Lichteffekten grundiertes Bild-Gewebe, das Kameramann Haris Zambarloukos gestaltet hat, schließlich ins Irreale gesteigert.