Der Kontrast zwischen Hell und Dunkel, hervorgerufen durch die Belichtungsphasen eines Kopiergerätes, ist der Titelsequenz des Films unterlegt. Die Ausweispapiere der Protagonisten werden kopiert. Dementsprechend stehen gegensätzliche Einzelinteressen, gespiegelt im Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, im Mittelpunkt von Asghar Farhadis sehr komplexem Film „Nader und Simin – Eine Trennung“, der mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet wurde. Zu Beginn befinden sich mit den beiden frontal aufgenommenen Titelfiguren zwei solch kontrastierender Meinungen zur Anhörung vor dem Scheidungsrichter, der jedoch nicht zu sehen ist und dessen subjektive Perspektive in einer langen Plansequenz derjenigen des Zuschauers entspricht. Die Situation vor richterlichen Instanzen wird sich noch mehrmals wiederholen. Sie ist Ausdruck eines zunehmend vielschichtiger werdenden Entscheidungsdilemmas, in das die Figuren und mit ihnen der Zuschauer fast unentwirrbar verstrickt werden.
„Ich glaube, dass die heutige Welt mehr Fragen als Antworten braucht“, sagt der iranische Regisseur Asghar Farhadi über sein „dramatisches Rätselspiel“. Es geht also nicht um Entscheidungen oder Urteile, sondern um den Austausch von Meinungen und Perspektiven in einem prinzipiell offenen Prozess, in dessen Verlauf die ethischen, moralischen und religiösen Konflikte immer weitere Kreise ziehen. Je deutlicher dabei die Probleme hervortreten, desto unlösbarer erscheinen sie paradoxerweise, was Farhadi durch einen dynamischen Perspektivwechsel und räumlich verschachtelte Bildkompositionen inszeniert.
Vor allem der Bankangestellte Nader (Peyman Moadi) steht diesbezüglich unter enormem Druck, der von allen Seiten kommt, stetig zunimmt und vielschichtige Wirkungen entfaltet: Seine Frau Simin (Leila Hatami) will sich von ihm scheiden lassen und zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus. Nader muss sich nun allein um seine 11-jährige Tochter Termeh (Sarina Farhadi) und seinen gebrechlichen, an Alzheimer erkrankten Vater kümmern. Für dessen Pflege und den Haushalt engagiert er die schwangere, strenggläubige Razieh (Sareh Bayat), die den Job braucht, weil ihr arbeitsloser Mann verschuldet ist. Als Razieh unter Schwierigkeiten ihre Arbeit vernachlässigt und nach einer unglücklichen, von Missverständnissen geprägten Auseinandersetzung mit Nader ihr Kind verliert, kommt es zur Anklage und damit zur Aufdeckung immer neuer Zusammenhänge und schicksalhafter Koinzidenzen. Deren sozialer, gesellschaftlicher und religiöser Verortung im Spannungsfeld zwischen traditioneller und moderner Lebensweise, zwischen Schuld und Verantwortung, ist Asghar Farhadis Film mit beeindruckender Konsequenz auf der Spur.