My Son, My Son, What Have Ye Done

(USA / D 2009; Regie: Werner Herzog)

Brad und wie er die Welt sieht

Werner Herzogs Filme finden in Deutschland eigentlich nur noch auf Festivals statt, wenn der Regisseur nicht gerade Abel Ferraras „Bad Lieutenant“ neu interpretiert und sich dabei in einem äußerst populären Genre bewegt. Doch reguläre Kinostarts gibt es selten. „My Son, My Son, What Have Ye Done“ ist eine sehr kleine Produktion, die man sich in Deutschland entsprechend auf dem kleinen Bildschirm anschauen muss, obwohl sie Größeres verdient hätte. Selten wurde eine Tragödie mit so viel Lust und Humor erzählt. Als ausführender Produzent stand Herzog diesmal David Lynch zur Seite, und das ist eine Verbindung, die in mancher Hinsicht so folgerichtig scheint, dass es verwunderlich ist, dass sie nicht eher zu Stande kam, handelt es sich doch in beiden Fällen um bevorzugt unabhängig agierende Regisseure, deren Erzählweisen das Irrationale ganz und gar nicht fremd ist. Hinzu kommt eine gewisse Exzentrik, die den Filmemachern in manchen Momenten eine beängstigende Ähnlichkeit zu ihren obsessiven Protagonisten beschert – rein äußerlich freilich, um nichts Verrücktes zu unterstellen.

Brad McCullum reiht sich nahtlos ein in die entsprechende herzogsche Figurentradition. Er ist nicht mehr derselbe, seit er aus – ausgerechnet! – Peru zurückgekommen ist. Dort hatte er eine schicksalhafte Eingebung und überlebte als einziger eine Kanu-Tour, weil er das Unglück ahnte und gar nicht erst teilnahm. Jetzt hat Brad, der sich auserwählt fühlen muss, Gottes vermeintliches Abbild auf einer Haferflockenpackung entdeckt, seine dominante Mutter mit einem Schwert umgebracht und sich mit zwei zunächst unbekannten Geiseln in einem Haus verbarrikadiert. Ein Eliteteam rückt an und positioniert sich, um zu verhandeln und die Geiseln zu befreien. Während alle die nächsten Schritte abwarten, tritt eine Art Schwebezustand ein. Der Film zeigt nicht, was im Haus passiert, und weil ein Haus Sinnbild für den Geisteszustand eines Menschen sein kann, bleibt auch Brads Innenleben ein Geheimnis. Es wird kein psychologisches Erklärstück inszeniert. Stattdessen erzählen Rückblenden im Zuge der Ermittlungen Brads Geschichte. Seine Verlobte Ingrid spricht mit einem Detective von der Mordkommission, später kommt ein befreundeter Theaterregisseur hinzu und ergänzt weitere Details: Brad arbeitete mit ihm an einer Aufführung von Aischylos’ „Orestie“ und sollte die Hauptrolle spielen – bis er die Figur des Muttermörders plötzlich allzu fanatisch auszufüllen begann.

Dass „My Son, My Son, What Have Ye Done“ auf einer wahren Begebenheit basiert und Originalzitate und Anekdoten verwendet, muss man schon wissen, denn man sieht es dem Film nicht an. Er wirkt weder wie ein Bio-Picture noch funktioniert er als klassischer Psychothriller. Vielmehr arbeitet er, wie die Beteiligten es erwarten lassen, mit Verfremdungsmechanismen, die das Geschehen oft ins Bizarre und Komische abgleiten lassen, ohne allerdings die existenzielle Tragik des Stoffs zu verraten. Immer wieder friert das Bild ein, indem die Schauspieler in ihrer Position verharren, während die Kamera weiterläuft. Durch diese surrealen Verzögerungen, manchmal in langsamen Schwenks, wird alles mit vermeintlichem Sinngehalt aufgeladen – und vergleichbar ist ja auch die Wahrnehmung Brads, der plötzlich zwanghaft einer Bestimmung folgt: Alles bedeutet etwas. Eine weitere Szene gewinnt durch das Herzog-typische Guerilla-Filmemachen eine besondere Qualität. Die Kamera ist am Protagonisten befestigt und fokussiert sein Gesicht, während er sich durch eine Menschenmenge bewegt – eigentlich eine konventionelle Art, Wahnsinn filmisch zu inszenieren. Doch Herzog hat die Szene mal eben ohne Genehmigung mit einem kleinen Team in Westchina gedreht. Die irritierten Blicke der Menschen auf den Schauspieler und direkt in die Kamera sind echt und machen Brads Paranoia gut nachvollziehbar.

Herzogs Ensemble legt eine seltene Spielfreude an den Tag, befördert durch die szenische Arbeitsweise von Herzog und seinem Kameramann Peter Zeitlinger, in der es wenige Zwischenschnitte gibt. Herzog und Lynch, der Realitätsverlust des manischen Künstlers und der Horror der bonbonbunten Suburbia, passen gut zusammen. „Manchmal habe ich das Gefühl, David Lynchs und meine Filme reden nicht miteinander, sondern sie tanzen manchmal miteinander“, sagt Herzog im Audiokommentar über das Verhältnis der beiden Oeuvres. Manchmal ist es ein intimer Tango, möchte man ergänzen. Manchmal aber auch ein anarchischer Pogo. Der Tanztee jedenfalls darf gerne häufiger stattfinden.

Benotung des Films :

Louis Vazquez
My Son, My Son, What Have Ye Done
(My Son, My Son, What Have Ye Done)
USA / Deutschland 2009 - 90 min.
Regie: Werner Herzog - Drehbuch: Herbert Golder, Werner Herzog - Produktion: Eric Bassett - Bildgestaltung: Peter Zeitlinger - Montage: Joe Bini, Omar Daher - Musik: Ernst Reijseger - Verleih: Arthaus / Kinowelt - Besetzung: Willem Dafoe, Chloë Sevigny, Brad Dourif, Michael Shannon, Loretta Devine, Udo Kier, Michael Peña, Grace Zabriskie, Irma P. Hall, James C. Burns, Verne Troyer
DVD-Starttermin (D): 18.11.2010

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1233219/
Foto: © Kinowelt