Museum Hours

(USA / AT 2012; Regie: Jem Cohen)

Sieh deinen eigenen Film!

Johann ist Aufseher im Kunsthistorischen Museum in Wien. Neben seiner Vorliebe für Kunst kann er dabei einer weiteren Neigung nachgehen – dem Beobachten von Menschen. Beim stundenlangen Anblick der Besucher stellt er sich deren Leben vor, imaginiert ihre Ängste und Wünsche und verliert sich in Details der Gemälde. Der Film „Museum Hours“ von Jem Cohen entwickelt sich zu einer Sinnsuche nach den Grundbedingungen unserer Wahrnehmung – sei es von Bildern, sei es vom eigenen Leben.

Anne – gespielt von der Singer/Songwriterin Mary Margaret O’Hara – will in Wien ihre im Koma liegende Cousine besuchen und lernt dort Johann (Bobby Sommer) kennen. In seiner nonchalanten Art, Anekdoten über sich, das Museum und die Stadt zu erzählen, findet die Frau aus Übersee die Wärme und Herzlichkeit, die ihr ein wenig Ablenkung von ihrem eigentlichen Aufenthaltsgrund verschafft. Die beiden freunden sich an, trotz aller Unterschiede, und verbringen auch außerhalb des Museums Zeit miteinander. Wobei Johanns Erzählung einer verflossenen Liebe zu einem Mann schnell mit der Erwartung einer erotischen Beziehung aufräumt. Immer tiefer gehen die Gespräche, zusammen reflektieren Johann und Anne über das Leben, die Kunst und die eigene Vergangenheit.

Der amerikanische Regisseur Jem Cohen lässt sich bei seiner Regiearbeit augenscheinlich von der Wirkung eines Museumsbesuchs beeinflussen: Ohne Eile schwebt er von Raum zu Raum, stolpert von Szene zu Szene, bleibt lange bei den Objekten seiner Betrachtung und findet im Detail viele Gründe, ins Grübeln zu geraten. Die Stille im Museum umgibt Johann wie das Innere einer verlassenen Kirche, die gemächlichen Schritte der Besucher hallen wie Sekundenzeiger durch den Raum. Nur wenig erinnert daran, dass sich die Welt außerhalb der Museumsräume weiterbewegt. So auf sich selbst zurückgeworfen, muss man zwangsläufig seine Zeit mit Nachdenken über sich und die Welt verbringen. Oder man versucht, Geheimnisse der Kunstbetrachtung zu lüften: Wie entscheidet der Beobachter, welches Bild er gerade sieht und worum es geht? Die Betrachtung der komplexen, figurenreichen Gemälde von Brueghel, die bei jedem Sehen etwas Neues entdecken lassen, lässt die Schlussfolgerung aufkommen, auf die es Jem Cohen abgesehen hat: Das Kunstwerk – und eigentlich jede Form von bildlicher Repräsentation – wird vom Thron objektiv messbarer Schönheit gestoßen. Je nach sozialer, historischer und biographischer Prägung unterliegt die Messung immer anderen Gesichtspunkten.
Jem Cohen nutzt halbdokumentarische wie fiktiv-dramaturgische Elemente des Erzählens.

Manchmal bleibt dabei die Handlung hinter dem Willen zur bedeutungsvollen Geschichte zurück. Der Regisseur nutzt jede Möglichkeit, um Reflexionen über Kunst, Malerei und das Leben in seine Erzählung einfließen zu lassen – allerdings nie auf eine prätentiöse oder lehrmeisterhafte Weise. Der Film lässt sowohl den Figuren als auch dem Zuschauer Raum für Assoziationen und eigene Gedanken. Ganz nebenbei eröffnet sich durch den eingenommen Blick des Regisseurs, der sich ebenfalls der eigenen Sehbedingungen bewusst ist, eine poetische Sicht auf den Akt des Beobachtens an sich. Die Stadt Wien, berühmte Bilder oder Gerümpel auf dem Flohmarkt – nicht im Beobachteten, sondern allein in der Beobachtung liegt die schöpferische Kraft, Sinn gelten zu lassen.

Dass der Film dabei viele Fragen aufwirft – was ist ein Kunstwerk? Wann wird etwas als Schönheit wahrgenommen? Welche Rolle spielen wir in unserem eigenen Leben? – statt sie zu beantworten, ist dabei sowohl das Resultat eines suchenden Filmemachers als auch die Eröffnung eines Angebots an jeden Zuschauer: Beantworte die Fragen selbst und sieh deinen eigenen Film.

Benotung des Films :

Ilija Matusko
Museum Hours
USA / Österreich 2012 - 97 min.
Regie: Jem Cohen - Drehbuch: Jem Cohen - Produktion: Paolo Calamita, Jem Cohen, Gabriele Kranzelbinder, Guy Picciotto, Patti Smith - Bildgestaltung: Jem Cohen, Peter Roehsler - Montage: Jem Cohen, Marc Vives - Verleih: Arsenal - Besetzung: Mary Margaret O'Hara, Bobby Sommer, Ela Piplits, Marcus O'Hara, Deborah Gzesh, Marco Calamita, Nina Calamita, Sigrid Mölg, Evelyne Egerer, Gerda Hartl, Ivo Hunek, Anna Maria Innerhofer, Anna Nowak, Michaela Buchegger, Hellmut Goebl, Michaela Punz, Frank Schneider, Sabrina Schrittwieser, Wolfgang Tobler, Josef Dirnberger, Nusret Ducevic, Tatjana Hatzl, Harald Helml, Christoph Hick, Sabine Koller, Michael Mach, Adelheid Mikes, Michael Otto, Peter Riepl
Kinostart (D): 10.04.2014

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2268732/