Wes Anderson macht Puppenhaus-Filme. In seinen penibel arrangierten Kunstwelten kommt jedem Detail ein fester Platz zu. In den Produktionsnotizen zu seinem neuen Film „Moonrise Kingdom“ ist viel die Rede von Inneneinrichtungen, Farben, Requisiten, Vintagemode und Musik. Es geht immer um Haptik, Oberflächentexturen und ganz nebenbei auch um die Griffigkeit von Genres, zu denen Anderson ein gespaltenes Verhältnis pflegt – was sich unter Anderem in einer seltsam verhaltenen Affirmation von genrespezifischen Formalismen und nostalgischen Erinnerungsfragementen äußert, die leicht als Ironie missverstanden werden kann. Andersons Filme folgen einer Genrelogik, die von seinen Figuren, wenn sie sich bewusstlos gegen das Erwachsenwerden stemmen, immer wieder gekonnt unterlaufen wird.
In „Moonrise Kingdom“ gipfelt diese regressive Disposition in der Erkenntnis, dass die Kinder im Grunde schlauer als die Erwachsenen sind. Wir befinden uns im Jahr 1965. Sam und Suzy haben bereits eine Vorstellung von der Beschaffenheit der Erwachsenenwelt, und sie wenden deren Prinzipien konsequent auf ihre eigene Kindheit an. Sam „kündigt“ ordnungsgemäß bei seiner Pfadfindereinheit, während Suzy ihre erste Nouvelle Vague-Romanze durchlebt. Auf ihrem tragbaren Plattenspieler schmachtet Francoise Hardy, ihr blauer Lidschatten signalisiert eine Sehnsucht, die ausgerechnet ein nerdiger Junge mit Biberfellmütze erfüllen soll. Der kennt sich als Pfadfinder schließlich mit Überlebenstechniken aus. Und während die Erwachsenen (unter ihnen Bill Murray, Bruce Willis und Tilda Swinton) in gewohnt hysterischer Manier die Strukturen von Andersons eigenwilliger Realität erkunden, verwandeln die jungen Liebenden eine einsame Bucht in ihr kleines Refugium.
Andersons Imaginationskraft kann die Beschränktheit seiner Entwürfe jedoch nie ganz verhehlen. Zur domestizierten Nostalgie des Puppenhauses gesellt sich stets das Ordnungsprinzip des Setzkastens. Nur die Melancholie seiner Figuren weist über die Liebesgeschichte hinaus. Der Schlüssel zu dieser Grundstimmung ist das Jahr 1965. Nur wenige Jahre später, so erzählte Anderson nach der Premiere in Cannes, würden Sam und Suzy in einem völlig anderen Amerika leben. Wenn Suzy eine Schere in das Pfadfinderhündchen bohrt und Bill Murray axtschwingend durchs Puppenhaus läuft, überschattet dieses neue Amerika bereits das Mondscheinkönigreich.