Am Anfang gehen die fünf Jungs noch in die Schule. Doze Niu filmt die Bildungsanstalt wie ein Gefängnis. Knastähnliche Uniformen, sinnloser Drill, beengte, entfärbte Gänge. Von Anfang an ist klar, wohin die Bewegung gehen muss: raus hier, über die Mauer, in die bunten Straßen, zwar nicht unbedingt ins echte Leben, aber doch immerhin in den Gangsterfilm.
Die antimoderne Welt des Gangsterfilms wird – gerade im asiatischen Kino – strukturiert vom Ritual. Blutsbrüderschaft, Treueschwur, Religion. Doze Nius zweiter, mit seinen knapp zweieinhalb Stunden Laufzeit eindeutig zu lang ausgefallener Spielfilm „Monga“ beschreibt die Initiation einer Gruppe Jugendlicher in den Ritus. Fünf Jungs, drei davon hinreichend individualisiert: Dragon trägt eine Fokuhila-Frisur – der Film spielt in den Achtzigern – und ist nominell der Anführer, im Grunde aber ein Emo avant la lettre, die gesamte zweite Filmhälfte über ist er chronisch verheult und er scheint zu wissen, dass ihm das steht. Eigentlich hat der coole Macchiavellist Monk die Fäden in der Hand, der einzige, der ihm Paroli bieten könnte, ist der Neue: Mosquito, ein agiler Melancholiker und ewiger Außenseiter, dessen vier, fünf Gesichtsausdrücke allesamt in erster Linie Weltschmerz kommunizieren. Die beiden anderen, Monkey und A-Lan, prügeln sich einfach nur unbeschwert und unreflektiert durchs Leben.
Im heimatlichen Taiwan war „Monga“ ein veritabler Blockbuster. Mit der reflektierten, entschleunigten Ästhetik des Neuen Taiwanesischen Kinos (das durchaus auch Gangsterfilme hervorgebracht hat: Hou Hsiao Hsiens „Goodbye, South, Goodbye“; Edward Yangs „A Brighter Summer Day“) hat das alles natürlich nichts mehr zu tun. Eher erinnert „Monga“ an die Triadenfilm-Schwemme im Hongkong-Kino der neunziger Jahre: Etwa an die seinerzeit überaus erfolgreiche „Young and Dangerous“-Serie, in der stets perfekt frisierte Popsternchen mehrere Jahre lang durch Hochglanzkulissen rannten und sich gegenseitig die Köpfe einschlugen. Auch die fünf Jungs in „Monga“ sehen eher nach Mitgliedern einer Boyband aus, als nach Kleinkriminellen – und in der Tat sind die drei zentralen Schauspieler in Taiwan populäre Teeniestars.
Was dem Film im Vergleich zu noch den schwächeren Hongkong-Filmen fehlt, ist ein Begriff von seinem Handlungsort. Monga, das titelgebende berüchtigte Viertel Taipehs, nimmt nie hinreichend Gestalt an, alle Schauplätze wirken austauschbar, verflacht, aufdringliche Ausleuchtung ersetzt kohärente räumliche Inszenierung. Eine Szene ist in blaues Licht getaucht, die nächste in gelbes, die übernächste in rotes. Wie die Panels eines Comics.
Man mag dem Film zu Gute halten, dass er noch in seinem Pathos konsequent billig bleibt, dass ihm – abgesehen von einigen technischen Spielereien in der Anfangsphase – alles Prätentiöse fremd ist. Das gilt auch für die obligatorisch bittersüße Liebesgeschichte: Wenn die Prostituierte Ning und Mosquito im Bordell nebeneinander liegen und auf einem Walkman gemeinsam kitschigen Asiapop hören, während um sie herum die Betten knarren und die Freier stöhnen, dann bekommt Doze Niu die Erbärmlichkeit seiner Figuren und ihrer Welt für einmal tatsächlich ziemlich genau zu fassen. Aber es ist ein Glückstreffer: die Musik ist auch im restlichen Film auf ähnlichem Niveau und alles in allem natürlich affirmativ gemeint. Seinen beschränkten Charme verdankt der Film seiner unbedingten Hingabe an die Klischees der ostasiatischen Pulp Fiction. Aber wirklich gutes Pulp-Kino entwickelt in seiner Form ein Verhältnis zu den Klischees – nicht unbedingt ein kritisches oder subjektives, aber doch irgendeines, irgendeine Form semantischen Widerstands. Im Fall von „Monga“ sind die Beschränkungen der Klischees ganz klar die Beschränkungen des Films.