Ziemlich früh spricht Moebius davon, dass ihm die Nouvelle Vague in den fünfziger Jahren schnell zur Religion wurde, und weil das Abhaken biographischer Eckdaten, wie es in diesem Dokumentarilm Prinzip ist, immer auch lineare Verzahnung suggeriert, war es vielleicht nur folgerichtig, dass er selbst rund 20 Jahre später für eine kleine Revolution im europäischen Comic mitverantwortlich sein sollte. Nachdem sich über Jahre Teile der Zeichnergarde mit ihren wechselnden Herausgebern (darunter auch der schwer gebeutelte René Goscinny) der französischen Jugendzeitschrift Pilote endgültig überwarfen, gründete man 1975 quasi als Gegenentwurf das Magazin Métal Hurlant. Als Mitherausgeber fungierte auch Jean Giraud alias Gir, seit 1963 Zeichner der überaus erfolgreichen und äußerst naturalistischen Western-Serie Blueberry, der nun endgültig seine zweite Künstleridentität Moebius forcieren sollte. Der schmutzigere Tuschestil wich linienbetonenden Federzeichnungen; die Schraffurtechnik erzeugte eine Dreidimensionalität, die sich dem Sog archaischer Traumwelten verschrieb; das Korsett des Genres wurde zur ans Absurde grenzenden Assoziation; die Seite war nicht mehr bloß Träger sequentieller Erzähleinheiten, sondern wuchs zum eigens komponierten Element; aus erzählerischer Geradlinigkeit entsprang eine hybride Programmatik aus Science Fiction, Mystik und Traumlogik – wortlos in „Arzach“, delirierend in „Die hermetische Garage“ oder „Der Incal“ und meist nur wenige Schritte von der Esoterik entfernt. Automatisches Zeichnen, Abkehr von der begrenzten Seitenzahl des klassischen Albums, sexuell aufgeladene Sci Fi-Settings und das Primat des (alb-)traumhaften Fabulierens, die Introspektion der Künstleridentität vor jeder Verständlichkeit hatte es in dieser episch-avancierten Form noch nicht gegeben. Für den europäischen Comic war dies ein qualitativer Quantensprung, den Moebius wie kein zweiter verkörpert. Er selbst wurde zum internationalen Star, der fortan für manch intermedialen Flirt zu haben war: als Verantwortlicher für Storyboard, Kostüme oder Produktionsdesign u.a. in der abgebrochenen „Dune“-Verfilmung von Alejandro Jodorowsky (der später für Moebius mehrere Szenarien schreiben wird), „Alien“, „Tron“ und „Das fünfte Element“.
So schillernd Moebius‘ dargebotener künstlerischer Werdegang auch ist – der fernab vom voyeuristischen Eifer eben auch werksrelevante Details wie das Experimentieren mit psychedelischen Pilzen in den Wüsten Mexikos oder seinen fünfjährigen Aufenthalt in der IOS-Sekte von Jean-Paul Appel-Guery berücksichtigt -, der Film bleibt in kultischer Manier seiner Person verschrieben. Ziemlich eilig wird seine Karriere abgehandelt, und es dürfte den Fördertöpfen dieser Arte-Produktion geschuldet sein, dass unter den talking heads einige Gesprächsteilnehmer vertreten sind, Jim Lee beispielsweise oder „Hellboy“-Erfinder Mike Mignola, deren einzige Legitimation anscheinend ihre Prominenz war. Und es kommen, neben Moebius, zahlreiche frühere Wegbegleiter zu Wort: Métal Hurlant-Mitbegründer Philippe Druillet, der unvermeidliche Stan Lee, der Schweizer Künstler HR Giger, „Alien“-Drehbuchautor Dan O’Bannon, Alejandro Jodorowsky als Vaterfigur wider Willen, ganz kurz auch Enki Bilal – eine illustre Runde, aber ihre Aussagen bleiben überschaubar. Die Leere wird durch stimmungsvolle Bilder und Animationen gefüllt, beschallt vom Synthie-Score des früheren Kraftwerk-Mitglieds Karl Bartos: Dann steht Moebius dreifach gesplittet vor den Fenstern der Bibliothèque nationale de France, im Anschlag bescheidene Weisheiten, die die Montage zu Aphorismen erhöht. Es ist ein Herantasten, das keinen Zweifel an seinen Gegenstand aufkommen lassen will. Widersprüche bleiben rückblickend ein Baustein zur Reife. Moebius spricht: „Ich bin natürlich in der Lage die Universen in Sekundenschnelle zu wechseln – durch meine Arbeit. Ich habe es getestet. Es ist eine Gabe Gottes.“ Die Gabe endet bei der IOS-Sekte Appel-Guerys. Warum? Jodorowsky: „Er hatte nie einen richtigen Vater. Ich konnte das nicht sein, also hat er sich diesen Guru rausgesucht, einen Verrückten.“ Druillet zeigt sich angewidert von dessen manipulativen Methoden. Moebius entschuldigt sich: „Sagen wir politisch korrekt: Da war ein manipulatives Wesen im Zentrum, das alle betrogen hat. Aber so einfach ist es nicht.“ Es ging um sexuelle Experimente, trotzdem: „Einige Dinge waren am Limit.“ Jodorowsky resümiert: „Eine katastrophale Erfahrung, aber gut für ihn.“ Schnitt in die Wüste und Schnitt zur Unteransicht einer vorbeiziehenden Palmenallee – zurück in Amerika geht es 1988 frisch emanzipiert weiter mit der Marvel-Zusammenarbeit am Silver Surfer. So funktioniert der Erzählrhythmus – für eine kohärente Erzählung, die die Biographie verspricht, muss das Bild glätten, was ihrer Linearität widerspricht. Was Künstler ist, soll nun mal Genie werden.
Nach dieser katastrophalen Erfahrung sehnt es Moebius nach der „Erschaffung einer neuen familiären Welt“, sagt er ziemlich zum Schluss. Also sieht man ihn durch die Straßen direkt in die Galerie seiner neuen Frau spazieren. Jodorowsky erklärt: „Zeichner sind Kinder. Sie verbringen Stunden mit Zeichnen. Also brauchen sie eine starke Mama.“ Es ist eben nicht nur blinde Mutterliebe, die durch rastlose Idolisierung ihre eigenen Kinder verkennt.