Draußen, unterwegs und fern der Heimat, fegt immer wieder ein lauter, schneidend kalter Wind über die karge, raue Gebirgslandschaft. Rasende Wolken werfen dramatische Schatten, die von jähen, kurzen Lichtfluten aufgebrochen werden. Tiefer unter dann, im Wald, liegen kühle Nebel über einem still murmelnden Bach. Man hört förmlich die Feuchtigkeit auf dem Geäst und in den Blättern. Noch intensiver ist das Summen des Sommers zu Hause, wo ein helles, warmes Licht die Schatten der Dunkelheit zu einem spannungsgeladenen, doppeldeutigen Chiaroscuro rastert. Die Kräfte der Natur und das Spiel der Elemente, aufgenommen in den Cevennen und dem Vercors-Massiv der westlichen Alpen, sind gewichtige, ja gewaltige, aber deshalb keineswegs spektakulär inszenierte Protagonisten in Arnaud des Pallières‘ Verfilmung von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“. Im Verbund mit einer reduzierten Ausstattung und einer unauffälligen, geradezu alltäglichen Kostümierung führen sie den Zuschauer in ein Mittelalter des 16. Jahrhunderts, dessen Materialität und Körperlichkeit fast greifbar wird und eine starke, atmosphärisch dichte Gegenwart erzeugt.
Dunkle, unheilvolle Trommeln künden vom Unrecht, das dem Titelhelden (Mads Mikkelsen) widerfährt. Ein Schlagbaum an einer unerwarteten Grenze und ein nicht vorhandener Passierschein zwingen den Pferdehändler zwei seiner Rappen nebst Knecht einem windigen, dekadent und zwielichtig erscheinenden Baron zu überlassen. Als er einige erzählerische Ellipsen später Mensch und Tier in geschundenem, verwahrlostem Zustand wiederfindet, fordert er zunächst Wiedergutmachung. Doch als diese ausbleibt und auch auf rechtlichem Weg nichts auszurichten ist, weil der Baron über Beziehungen zum Hof verfügt, wird der Betrogene zum gewalttätigen Rächer, der bald eine kleine Armee von getreuen Mitkämpfern anführt. Als heldenhaftes Vorbild taugt er dabei allerdings nicht; eher schon zum Fanatiker, der blindwütig seinen Prinzipen folgt, deren Sinn, vom Ende her betrachtet, immer fragwürdiger und undeutlicher wird.
Trotzdem ist Kohlhaas für den französischen Filmemacher Arnaud des Pallièrs eine „legendäre Figur“. Weil er auf dem Höhepunkt seiner (militärischen Macht), die Waffen niederlegt und sich dem Gesetz überantwortet, gilt er ihm als „moralische Instanz“. „Der Krieg schafft kein Recht“, sagt Kohlhaas einmal und wird kurz darauf selbst zum Richter und Henker. Von Luther (Denis Lavant) muss er sich danach in einem fulminanten Gewissensdiskurs eine zweifelhafte Moral und ein hochmütiges, eigengesetzliches Verhalten vorwerfen lassen. Dabei wird Michael Kohlhaas eingangs als liebender Ehemann, zärtlicher Familienvater und gottesfürchtiger Christ, der die Luther-Bibel liest und erklärt, eingeführt. „Als sehe man durch ein dunkles Glas“, zitiert er einem Knecht gegenüber eine ebenso berühmte wie schwer verständliche Stelle aus dem Korintherbrief; und er erläutert, dass dies bedeute, eine Sache zwar sehen, aber nicht erkennen zu können. „Zum Beispiel einen Feind?“, fragt sein Schüler. „Oder auch einen Freund“, ergänzt Kohlhaas und nimmt damit ein Motiv seines tragischen Schicksals (und Scheiterns) vorweg. Dass sein Handeln dabei gleichermaßen Liebe und Furcht erweckt, wie die Prinzessin von Angoulême (Roxane Duran) mit begehrlichen Blicken auf den schönen, fast nackten Körper des Kontrahenten feststellt, gehört zu den Widersprüchen dieser Figur.