„Ich bin in der Innerschweiz aufgewachsen mit Blick auf die Rigi“, lautet der erste Satz in Erich Langjahrs neuem Film „Mein erster Berg“. Damit stellt der renommierte Schweizer Dokumentarist gleich zu Beginn seines „Rigi-Films“ einen gewichtigen persönlichen Bezug zu seinem Beobachtungsgegenstand her. Ein weiteres schriftliches Insert, das den historischen Rahmen absteckt, weist darauf hin, dass auf der ersten Karte der Eidgenossenschaft aus dem Jahre 1480, einer sogenannten Mappa Mundi, das berühmte Bergmassiv als „Zentrum der Welt“ bezeichnet wird. Nimmt man zu diesen knappen Angaben die Daten und Zeugnisse bekannter Schriftsteller hinzu, die am Ende des Films aufgelistet sind, entsteht eine Klammer, die das spannungsreiche Sujet in nuce zusammenfasst: Es liegt irgendwo zwischen Gottfried Kellers zitiertem „Trink, oh Auge, was die Wimper hält“ und Hermann Hesses kritischem Tagebucheintrag von 1945: „Fühle mich fremd dort und abgestoßen von der Fremdenindustrie.“
Weitere Worte und Sätze sind nicht nötig im Film von Erich Langjahr, der vollständig auf einen Kommentar und auf Interviews verzichtet, um stattdessen die Bilder sprechen zu lassen. Diese sind unspektakulär, aber genau und zu einem ruhigen, fast meditativen Erzählfluss montiert. Erich Langjahr ist ein wohltuend zurückhaltender, ebenso geduldiger wie beharrlicher Beobachter, der in wechselnden Perspektiven und im Wechsel der Jahreszeiten die Arbeit und das touristische Treiben am Berg dokumentiert. Trotz der subtil registrierten Kontraste bleibt seine Tonlage mild und changiert dabei in Bild und Ton immer wieder zwischen Nähe und Distanz, wodurch kuriose, fast verfremdende Effekte entstehen: Etwa wenn die riesige Flagge der Schweiz, die gerade noch mühsam am Berg angebracht wird, später aus der Ferne wie ein kleiner Punkt aussieht; oder wenn die Freizeitvergnügungen der Touristen von Arbeitsgeräuschen aus dem Off begleitet werden. Daneben gibt es Bilder, die geradezu unwirklich oder futuristisch anmuten: eine Freiterrasse, die in den Lüften zu schweben scheint; oder auch der Sendemast auf der Rigi-Kulm, der im winterlichen Eis und Schnee wie eine Skulptur aussieht.
Im Zentrum des Films steht allerdings ein Portrait des Rigi-Älplers Märtel Schindler, eines vielseitig begabten und beschäftigten Handwerkers und Bergbauern, dem kein Gewerke fremd zu sein scheint. Schweigsam, in sich gekehrt und fast ohne Mienenspiel hinterm dichten Bart, fällt er Bäume für den Bau eines Blockhauses und überwacht die Arbeiten auf der Baustelle; daneben schlägt er Pfähle für einen Elektrozaun ein, hilft beim Gleisbau und treibt Kühe und Ziegen auf die Alm. Wie schon in seinen früheren Arbeiten dokumentiert Langjahr Arbeitsvorgänge und Handwerkstechniken und bewahrt sie damit vor dem Vergessen. Dabei entsteht eine eindringliche Konzentration auf das gezeigte Geschehen, auf die körperliche Kraftanstrengung der Handwerker und die Präzision ihrer Arbeit.
Facettenreich und unaufdringlich kontrastiert der Filmemacher diese Mühen des täglichen Lebens mit Landschaftspanoramen, idyllisch anmutenden Naturschönheiten, aber auch mit den sportlichen Freizeitaktivitäten der Touristen und den mit modernen technischen Gerätschaften vollzogenen Bausünden am Berg. In deren Lärmkulisse schieben sich immer wieder die sanften Klänge von Hans Kennels dunkel getöntem Alphorn-Jazz. Auch Erich Langjahrs ethnographisch geprägtes Interesse an Alltagskultur und Brauchtum, vor allem aber sein distanziert-einfühlsamer Blick darauf bleibt bei aller unterschwellig mitschwingender Kritik versöhnlich gestimmt: „Ich versuche in diesem Film die Mitte auszuloten, die Mitte einer Landschaft und die Mitte eines Lebensbildes. Dies auch im Sinne eines Zeitbildes aus der Mitte der Schweiz“, schreibt Erich Langjahr, der bei seinem Film auch für die Kamera und den Schnitt verantwortlich zeichnet.