Die Filmemacherin Cordula Kablitz-Post hat ihr Biopic über die Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé raffiniert konstruiert: Während die Nazis im Mai 1933 öffentlich Bücher der von ihnen verfemten Autoren verbrennen, arbeitet die 72-jährige, altersschwache Dame (Nicole Heester) zusammen mit dem jungen, unglücklichen Germanisten Ernst Pfeiffer (Matthias Lier) in Göttingen an ihren Memoiren. Ihre Lebenserinnerungen stehen also von vornherein gegen das offiziell betriebene Vergessen durch ein barbarisches Regime, dessen Drohungen immer vernehmlicher werden. Zugleich nutzt die Regisseurin diesen Ausgangspunkt für Rückblenden in das bewegte Leben der emanzipierten Philosophin (Katharina Lorenz), das von Begegnungen mit zahlreichen Künstlern und Gelehrten geprägt war. Das Vergrößerungsglas, das die Portraitierte zum Lesen benutzt, ist deshalb zugleich das Instrument, mit dem Kablitz-Post auf exemplarische Weise bedeutende Episoden einer ungewöhnlichen Frauen-Biographie erhellt.
Dass es sich bei biographischen Arbeiten nur um die „halbe Wahrheit“ handeln könne, gibt die betagte Intelektuelle selbst zu bedenken. Insofern fokussiert Cordula Kablitz-Post ihren Film „Lou Andreas-Salomé, der mit einem stummen Nein beginnt, vor allem auf die Geschichte einer weiblichen Selbstermächtigung. Diese steht ziemlich quer zu den gesellschaftlichen Konventionen der Zeit. 1861 in St. Petersburg als Jüngste neben fünf Brüdern geboren, leidet das widerspenstige Mädchen zudem unter dem frühen Verlust des geliebten Vaters. „Werde die, die du bist“, sagt dieser einmal zu ihr. Zum Mentor und Vaterersatz wird ihr dabei der geistliche Privatlehrer der Familie, der durch seine Übergriffigkeit die Heranwachsende (Liv Lisa Fries) allerdings traumatisiert. Erst ihre spätere Begegnung mit Sigmund Freud (Harald Schrott) in den 10er Jahren des 20. Jahrhunderts bringt dieses verdrängte Kapitel zur Sprache.
Dazwischen liegen ihre Studienjahre in Zürich, ihre Kämpfe mit der Mutter, eine schwere Lungenkrankheit, vor allem aber ihre einschneidende Begegnung mit den geistesverwandten Philosophen Paul Rée und Friedrich Nietzsche in Rom. Doch noch wehrt Andreas-Salomé die Heiratsanträge ihrer zahlreichen Verehrer, die reihenweise liebeskrank oder verrückt werden, ab. „Kameradschaft, sonst nichts!“, lautet das Credo der Heiratsunwilligen, die nach Freiheit und Unabhängigkeit als Voraussetzungen für eine geistige Vervollkommnung strebt. Apollinisches und dionysisches Prinzip liegen bei ihr, Nietzsche folgend, in einem harten Konflikt, der erst später in ihrer leidenschaftlichen Liebesbeziehung zu dem um fast fünfzehn Jahre jüngeren Dichter Rainer Maria Rilke besänftigt wird.
„Sofern du willst ein Leben haben, raube dir’s.“ Dieses leitmotivische Zitat von Lou Andreas-Salomé beflügelt in weiten Teilen auch Kablitz-Posts Portrait einer unkonventionellen Künstlerin und starken Frau, die für viele Weggefährten zur Förderin und Inspirationsquelle wurde. Allerdings gerät der Regisseurin das Exemplarische dieses emanzipatorischen Widerspruchs gemäß den genretypischen Konventionen arg plakativ. Da muss das Mädchen auf Bäume klettern, als unfreiwillige Konfirmandin im Gottesdienst dem Pfarrer provozierend widersprechen oder als junge Gelehrte in der Begegnung mit Gleichgesinnten druckreif philosophische Sätze aufsagen. Das ist zwar meisten unterhaltend und manchmal sogar (unfreiwillig?) komisch, aber eben auch oberflächlich. Gelungener ist der Film in seiner motivischen Gestaltung. So befördert Lou Andreas-Salomés Analyse bei Freud neben der Bearbeitung ihres Traumas auch die Frage nach ihrer narzisstischen Persönlichkeit. Und ihre Begegnung mit Pfeiffer, die manchmal einem letzten Flirt mit einem seelenverwandten Verehrer ähnelt, akzentuiert neben der „geretteten Erinnerung“ noch einmal ein komplizenhaftes Lehrer-Schüler-Verhältnis.