Wenn die Grenzüberschreitung zum ökonomischen Maßstab wird, schlägt auch ihre Ästhetisierung ins Gegenteil um. Das ist eine der Lehren, die die Protagonisten dieses serbischen Films grausam am eigenen Leib erfahren müssen – und die sie schließlich notgedrungen selbst reproduzieren.
Dabei begann alles mit einer Utopie: Um seine Haut vor einem rachsüchtigen Pornoproduzenten zu retten, flieht der Filmemacher Marko, den es eigentlich zur aufrüttelnden, nur leider brotlosen Kunst zieht, von Belgrad aufs Land. An seiner Seite im hippiesk umdekorierten Tourbus: neun Outcasts, vom Transsexuellen mit zoophilen Neigungen bis zum Junkiepärchen, die im urbanen Raum bloß Verelendung erwartet. Ihre Mission: mit einem bizarren Live-Porno-Cabaret die Landbevölkerung von ihren sexuellen Schranken befreien. Die Utopie schlägt ins Gegenteil um: Mit fürchterlicher Gewalt entlädt sich der Hass auf die selbsternannten Aufklärer. In kurzer Zeit sinkt die Gruppenmoral so tief, dass man widerwillig unter der Obhut eines deutschen Journalisten Snuff-Filme für dekadente Westeuropäer produziert, doch zumindest Marko ist zunächst überzeugt, damit seinem Credo einer Grenzen überschreitenden Kunst treu zu bleiben.
Harte Geschütze, die Mladen Djordjevic in seinem ersten Spielfilm auffährt: Pornographie und extreme Gewalt schnürt er in ein drastisches Setting, das auf den ersten Blick an Torture Porns erinnert. Aber auf das exotistische Klischee des entfesselten Balkans reagiert der Regisseur, indem er die Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche betont. Kunst wie Kultur sind präformiert von den realen Kriegsschauplätzen des zerstörten Serbiens: Bis auf eines begeben sich die Snuff-Opfer 'freiwillig' zum Schafott, weil sie sich vom bezahlten Tod vor der Kamera eine Operation ihrer durch radioaktive Nato-Bomben missgebildeten Familienmitglieder versprechen oder für ihre eigenen Kriegsverbrechen büßen wollen. Das aufrührerische Projekt gerät schneller zur pervertierten Dienstleistung, als die Pornobande verkraften kann. Solcherlei radikalen Nihilismus kennt man allenfalls aus Splatterfilmen der frühen Siebziger, die ähnlich unbefangen die gesellschaftliche Erosion zelebrieren.
Dieser Text erschien zuerst in: Konkret 08/11