Das Verhältnis von Dokumentarfilm und Fernsehen ist seit jeher ambivalent. Zwar hat das Dokumentarische im Öffentlich-Rechtlichen seinen festen Platz. Der Anteil ist, gemessen an fiktionalen Formaten, sogar größer, bezieht man Spielarten wie Features und Reportagen in die Betrachtung mit ein. Leider fristet gerade der abendfüllende Dokumentarfilm schon seit langer Zeit ein Dasein an den Peripherien des Programmplanes und wird auch immer seltener durch das Fernsehen koproduziert. Die Gründe dafür sind vielfältig und oft erbärmlich: In seiner Langsamkeit, Offenheit und der Unwilligkeit, Fragen eindeutig zu beantworten, passt er – so wollen es die Verantwortlichen – nicht zum allzeit zappbereiten Zuschauer. In seiner produktionsbedingten Unvorhersehbarkeit passt er – so will es der Quotendruck – nicht zu den zuständigen Redakteuren, die lieber zu Beginn schon genau wissen wollen, wie das Produkt am Ende ausschauen wird und auch unabwägbaren Finanzierungssituationen aus dem Weg gehen wollen. Manchmal heißt es einfach auch nur abfällig, der Dokumentarfilm sei zu kritisch.
Mit „Klitschko“ kam ein Film ins Kino, der von Sebastian Dehnhardt, einem versierten Regisseur erfolgreicher TV-Dokumentationen („Krupp – Mythos und Wahrheit“, „Das Drama von Dresden'), inszeniert wurde. Die große Fernsehproduktionsfirma für Geschichts-dokumentationen, „Broadview TV“, bei der Dehnhardt auch Geschäftsführer ist, hat den Film maßgeblich produziert. Aus dieser reinen Betrachtung der Produktionsbedingungen ergibt sich also eine Art Umkehrbewegung: Der vom Fernsehen auf allen Ebenen vernachlässigte abendfüllende Dokumentarfilm wird hier von Fernsehmachern initiiert und für die große Leinwand produziert.
„Klitschko“ erzählt, ausgehend von den unmittelbaren Vorbereitungen auf einen Kampf, in einer Rückschau von der Kindheit und den Kickbox-Anfängen der Brüder Vitali und Wladimir in Kiew, ihren ersten Boxkämpfen und der Entdeckung in Deutschland, bis hin zu den Millionen-Kämpfen der beiden Athleten. Zu Wort kommen auf dieser Wegstrecke Trainer, ehemalige Gegner, Boxpromoter, Ärzte und Manager. Erstmals sind auch die Eltern der Klitschko-Brüder zu sehen.
Über zwei Jahre hinweg hat der Regisseur seine Protagonisten mit dem Ziel begleitet, mehr über die besondere Beziehung der Brüder zu erfahren. Nähe scheint dabei jedoch keine entstanden zu sein. Dehnhardt geht mit seinen Protagonisten nicht anders um als mit den Interviewpartnern seiner zahlreichen Geschichtsdokus: sie liefern vor allem das, was er zu einer einfachen und verständlichen Geschichte montieren kann. Ihre Mutter wird auf der Couch drapiert, als wäre es nicht ihre eigene, während Wladimir auf der Terrasse eines Hauses in den Bergen grillt, das auch gut für den Film gebaut worden sein könnte. Es ist ein geradezu aseptischer Blick auf das Leben der zurzeit berühmtesten Boxer der Welt.
Zugunsten einer perfekten Inszenierung des Klitschko-Universums wird auf Unmittelbarkeit sowie das Vertrauen in den Moment fast gänzlich verzichtet. Nichts wird hier dem Zufall überlassen. Kaum auszuhalten sind die Szenen, in denen Wladimir und Vitali eine inszenierte Schachpartie spielen und dem Zuschauer von Rivalität und Freundschaft der Brüder erzählen sollen, weil es kaum authentische Momente im Film gibt, die das auf andere Art vermitteln könnten, oder weil diesen Momenten nicht genug vertraut wird. Denn im Kopf des Regisseurs ist immer noch das Fernsehpublikum die Zielgruppe.
So ist es auch kein Wunder, dass der Film litfasssäulenartig mit Musik und Sounddesign verkleistert ist. Immer höher türmen sich im Verlauf des Filmes die musikalischen Triumphbögen. Stellenweise mag dies Ausdruck von Angst und Unbeholfenheit sein, dem fehlenden Off-Kommentar (ein offensichtliches Zugeständnis an das Kino) adäquat zu begegnen und die fernsehuntypische Leerstelle einfach mal zuzulassen. Vor allem aber ist es die Routine des Fernsehregisseurs, jedem Bild durch musikalische Untermalung zu besserer Verständlichkeit verhelfen zu wollen und Mehrdeutigkeiten zu vermeiden, denn „Klitschko“ möchte vor allem eine Ansicht verbreiten: Mit aller Macht will der Film Dokumentarmonument sein.
Doch die Inszenierungsstrategien einer aufgeblasenen Fernsehdokumentation genügen diesem Anspruch nicht. Egal, wie groß der Flachbildfernseher auch ist, allein die Überlebensgröße des Kinos soll dem Werk samt seinen Protagonisten einen anderen Stellenwert zuweisen und es nicht zuletzt ermöglichen, die historische Bedeutung der Klitschkos zu stärken. Besonders deutlich wird dieser Aneignungsversuch in den Anfangstiteln des Filmes: die Produktionsfirma „Broadview TV“ wird kurzerhand in „Broadview Pictures“ umbenannt. Der Wille zum Kino ist überall zu spüren, nur im gedrehten Material, dem jede Fragestellung und Unvoreingenommenheit gegenüber seinen Protagonisten fehlt, ist davon nichts vorhanden.
„Klitschko“ ist eines der vielen Beispiele dafür, dass die Frage nach dem Kino als Kunst hierzulande immer häufiger in die Frage nach dem Kino als Fernsehen mündet. Umso wichtiger ist es gerade für die Gattung des Dokumentarfilmes, die leichtfertige Vermischung der Terminologien, wie sie in der deutschen Filmkritik gang und gäbe ist, einer klaren Begriffsbestimmung zuzuführen: Eine Dokumentation ist kein Dokumentarfilm – auch dann nicht, wenn sie sich durch die Hintertür ins Kino schleicht.