Eine junge Frau, von Panik ergriffen, befindet sich auf der Flucht. Sie rennt, als ginge es um ihr Leben. Nebelpfade kreuzen sich, im Hintergrund droht dunkel und mächtig ein geheimnisvolles Schloss; über der weiten, dämmrigen Landschaft zucken Blitze, bis schließlich heftiger Regen einsetzt, der nichts reinigt, sondern alles beschwert. Äußere Erschöpfung und seelischer Schmerz durchdringen sich. Als die 19-jährige Jane (Mia Wasikowska) in der Familie des jungen Vikars John Rivers schließlich Schutz findet, ist sie, verfolgt von inneren Stimmen, dem Wahnsinn nahe: Sie sei der Hölle, einer „Grube voller Fallen“, entronnen. Und: „Man darf mich nie wiederfinden.“
Ein solch dramatischer Auftakt verlangt nach einer Erklärung. Cary Joji Fukunagas Literaturverfilmung „Jane Eyre“ verschachtelt diese geschickt in einer Montage der Erinnerung und identifiziert dabei den berühmten Romanstoff von Charlotte Brontë als eine Leidensgeschichte aus dem viktorianischen England: Die Vollwaise Jane, im Haus der bigotten Tante schikaniert und gequält, landet im puritanischen Internat Lowood, wo es noch schlimmer zugeht und die weiblichen Zöglinge im Namen der Religion brutal gezüchtigt werden. „Sie hat ein boshaftes Herz“, heißt es von Jane. Ihre Figur spiegelt das Motiv der verfolgten Unschuld. Aus erlittener Ungerechtigkeit gewinnt sie Selbstbewusstsein und innere Stärke.
Ihre Anstellung als Gouvernante der kleinen Adèle auf dem abgelegenen Landgut Thornfield Hall, das ebenso als (geistiges) Refugium wie düsteres Gefängnis erscheint, bringt das besonders gut zum Ausdruck. Jane blüht auf, übersetzt ihre überwältigende Vorstellungskraft in die Entfaltung ihres zeichnerischen Talents, mit dem sie die „Schatten der Gedanken“ festhält, und pflegt mutig ebenso scharfsinnige wie ironische Dispute mit dem Hausherrn Edward Rochester (Michael Fassbender). Die offene Direktheit der empfindsamen Frau sowie ihr unabhängiger Sinn treffen auf einen Mann, der in einer dunklen Vergangenheit gefangen ist. Bald sin die seelenverwandten Außenseiter in Liebe miteinander verbunden.
Fukunagas Inszenierung erforscht die von Unsicherheit und Zweifeln begleitete Bewegung dieses Gefühls, seine Verfestigung zur Gewissheit, seine Tragik und sein Schmerz. Doch der Ort dieser Liebe ist ein Gefängnis mit einem dunklen Verlies, dessen Mauern erst noch fallen müssen.