Der Schluss von Joel und Ethan Coens neuem Film „Inside Llewyn Davis“ steht am Anfang: Während der von Oscar Isaac gespielte Titelheld, ein mittelloser Folksänger, nach seinem melancholischen Auftritt im Gaslight Café von Greenwich Village auf dem Hinterhof des Lokals von einem mysteriösen Traditionalisten aus Rache brutal zusammengeschlagen wird, betritt der junge, noch unbekannte Bob Dylan die Bühne des kleinen Folkclubs. Die beiden Musiker sind Brüder im Geiste einer neuen, heraufziehenden Folk-Bewegung, aber noch scheinen sie in ihren singulären Bestrebungen nichts voneinander zu wissen. Von Dave Van Ronks Autobiographie „The Mayor of MacDougal Street“ („Der König von Greenwich Village“) inspiriert, der als Musikerkollege und zentrale Figur der Szene Dylan protegierte, blenden die Gebrüder Coen mit ihrem Protagonisten Llewyn Davis verschiedene historische Vorbilder und Motive ineinander, um den Spirit dieser Aufbruchsbewegung wiederzubeleben.
Der New Yorker Winter des Jahres 1961 ist grau, nass, windig und kalt und deshalb fast farblos fotografiert. Durch das schummrig beleuchtete Gaslight Café ziehen Nebelschwaden aus Zigarettenrauch, und die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft ist ungewöhnlich gespannt. Sie ist echt und ungeteilt, gilt ebenso den Neuerern wie den Traditionalisten, deren Ironisierung allenfalls im Auge und Ohr des Betrachters bzw. Zuhörers liegt. Die Gunst des Publikums kennt jedenfalls noch keine Grabenkämpfe. Deshalb ist es auch auffällig störend und unfair, wenn Llewyn Davis den Auftritt einer älteren Kollegin beleidigend niederbrüllt. Außenseiter, die von ihrer Musik nicht leben können, sind sie mehr oder weniger alle. Doch Llewyn ist darüber hinaus ein einsamer Drifter, dessen Kreisbewegungen einen historischen Moment markieren und dessen ideelle Fliehkräfte ihn verloren zwischen Lower Manhattan und Upper West Side, New York und Chicago herumirren lassen.
So zeichnen Joel und Ethan Coen, unterstützt durch konzentriert und ausführlich dargebotene Liedbeiträge, das tragikomische Portrait eines Verlierers und Überlebenskünstlers, der ohne festen Wohnsitz lebt, auf Freunde und Gönner angewiesen ist, von einer Katze verfolgt wird und schon leicht resigniert für seine Kunst streitet. Seit er seinen Duo-Partner durch Selbstmord verloren hat, ist ihm auch der Glaube an sich selbst abhanden gekommen. Llewyns Ziellosigkeit, die wenig Rücksichten kennt und Kompromisse weitgehend ablehnt, findet ihren Widerhall bei den anderen Suchenden und Gestrandeten jener Tage: den Poeten der Beat Generation und den Junkies des Bebop. „On the road“, auf einer ebenso düsteren wie unwirklichen Autofahrt nach Chicago und zurück, inszenieren die Coens den „klimatisierten Alptraum“ und die verlorenen Illusionen dieser ausgesetzten, müden Vagabunden am Beginn einer neuen künstlerischen Ära.