Die Deutschen haben mal wieder die Klüsen zu – diesmal die müden Nachkriegsklüsen. Adenauer will einen Schlussstrich ziehen, das Volk sich am Wirtschaftswunderfeuer wärmen und über die grässliche Vergangenheit das grüne Gras wachsen lassen. Nur Alexander Fehling spitzt in der Rolle des jungen Staatsanwaltes Johann Radmann die Ohren und öffnet die blauen Äuglein, als der Reporter Thomas Gnielka (André Szymanski) im Treppenhaus des Frankfurter Gerichts die Wahrheit hallend wiedergibt: dass keiner wissen will, was in Auschwitz geschehen ist. Radmann, ein schwiegersohnbraves Mashup aus den drei Staatsanwälten, die unter der Leitung Fritz Bauers den ersten großen Prozess der deutschen Nachkriegsgeschichte gegen die Täter im nationalsozialistischen Vernichtungslager eingeleitet haben, nimmt sich der Sache trotz anfänglichen Widerstandes aus den eigenen Reihen an. Ein historisch bedeutender Schritt, den Giulio Ricciarelli in seiner ersten Regiearbeit entsprechend würdigt.
Diese Würdigung sieht in „Im Labyrinth des Schweigens“ nun so aus, dass den Film eine ungemeine Klarheit bestimmt. Die Bilder zeichnet eine große Tiefenschärfe aus, alles ist jederzeit sichtbar. Orte werden mit lehrbuchartigen Establishingshots eingeführt, in denen schlecht drapierte Statisten das Kopfsteinpflaster fegen oder auf Krücken durch das Bild humpeln. Wann wir uns wo befinden, stellen diese Einstellungen so offensichtlich aus, dass selbst Wohnhausruinen unangenehm künstlich wirken im Versuch, ein glaubwürdiges Nachkriegsdeutschlandbild zu entwerfen.
Den Figuren ergeht es ganz ähnlich. Sie definieren sich in Ricciarellis Erstling durch ihre in aller Oberflächlichkeit zur Schau gestellte Funktion. Der Auschwitzüberlebende Simon Kirsch (Johannes Kirsch) ist ein symbolisch Leidender und Stichwortgeber für eine erste heiße Spur in Form von Originaldokumenten aus dem Vernichtungslager. Radmanns Sekretärin Schmittchen gibt die moralische Instanz, die Stellvertretertränen vergießen darf, wenn sie in den ersten Anhörungen von all den Gräueltaten im Lager erfährt. Für die Psyche der Protagonisten interessiert sich der Film meist nur dann, wenn durch ihre Regungen Emotionen beim Zuschauer ausgelöst werden können oder es der nächste Plotpoint zulässt.
Selbst die Brüche im Verhalten der Protagonisten gibt es auf Rezept. Der innere Konflikt Radmanns, der während seiner nervenaufreibenden Arbeit erkennen muss, dass sein Vater ebenfalls in der NSDAP gewesen ist, bleibt eine bloße Behauptung, die in plakativen Alkoholeskapaden mit anschließender Streiterei nach außen gekehrt wird. Die wachsende seelische Belastung, das Verlorensein im Labyrinth aus Lügen und dem titelgebenden Schweigen wird nie spürbar, sondern ausschließlich sichtbar.
Da verwundert es nicht, dass die Figuren ferner für die Maximierung des Schauwertes herhalten müssen. Dank Friederike Becht in der Rolle der Freundin Johann Radmanns ergibt sich etwa die Gelegenheit für eine überflüssige Sexszene und einen im Anschluss daran auf der Fensterbank mit nacktem Oberkörper sitzenden und über Auschwitz sinnierenden Alexander Fehling; gut in shape, glatt rasiert, aber so überflüssig wie die gesamte Liebesgeschichte der beiden, die in banalen Erzählkonventionen dahin rieselt und als halbgarer Gegenpol zu den Ermittlungen ein wenig Amüsement in all die Unfassbarkeiten bringen soll, die der hübsche Staatsanwalt so zu Tage fördert.
Es existieren in „Im Labyrinth des Schweigens“ keine Variationen gewohnter Muster, keine Irritationen, die einem die ungeheuerliche Verdrängungsleistung der Deutschen in den 1950er Jahren begreiflich machen könnten. Der Wunsch nach einer authentischen Abbildung der Welt mündet beständig in der Darstellung einfacher Abziehbildchen, in der selbst die sprachlichen Metaphern von einer solchen Einfältigkeit geplagt werden, dass noch der Dümmste in der Lage ist sie zu verstehen. Dementsprechend endet eine Szene, in der Radmann seine Freundin – mittlerweile selbstständige Schneiderin – zurück gewinnen will, mit einem zerrissenen Jackett in der Hand und der Frage, ob es noch zu reparieren sei. Wohl kaum, ist die herzzerreißende Antwort der jungen Dame, der Riss sei einfach zu groß.
Vielleicht sind es die medialen Wurzeln des Fernsehschauspielers Ricciarelli, die hier – gelernt ist gelernt – verzweifelt Halt in einer Ästhetik der Unmissverständlichkeit suchen. Das führt jedoch in „Im Labyrinth des Schweigens“ dazu, dass unablässig Transparenz mit Wahrheit verwechselt wird, wobei Letzteres beharrlich über Ersteres hergestellt werden soll. Es gibt einfach keine Suche in diesem allwissenden Film, der den kategorischen Imperativ des „Nie wieder!“ in aller Aufdringlichkeit vor sich her trägt.
Als vollends grotesk gebärden sich die künstlerischen Entscheidungen des Regisseurs schlussendlich in einer Szene, die Johann Radmann und Thomas Gnielka nach Auschwitz führen. Vor den mittlerweile überwucherten Ruinen des Konzentrationslagers gibt der Film sein bisheriges Konzept der hohen Tiefenschärfe auf und die Protagonisten heben sich plötzlich stark von den Hintergründen ab. Vor dem Stacheldrahtzaun reden Radmann und Gnielka über das, was sie auf der anderen Seite des Zaunes sehen und eigentlich sehen sie nichts. Für sie wie für den Zuschauer bleibt Auschwitz eine unscharfe Textur, offensichtlich per Greenscreen-Verfahren in das Bild hineinkopiert. Der Regisseur lässt seine Protagonisten also nach Auschwitz fahren, ohne dass sie je dort ankommen. Damit geht sich der Film, dessen Handlung so sehr darauf aus ist Unsichtbares sichtbar zu machen, gleich in mehrfacher Hinsicht selbst auf den Leim. So sehr Radmann und Gnielka als Repräsentanten zweier Generationen im knallgrünen Greenscreen-Auschwitz Buße tun, so losgelöst operiert „Im Labyrinth des Schweigens“ in Bezug auf aktuelle Prozesse um rechte Gewalt und das massive Schweigen in diesen Prozessen.
Hier und hier gibt es zwei weitere Kritiken zu 'Im Labyrinth des Schweigens'.