Ein fiktiver Maler ist angeblich gestorben. Die internationalen Pressestimmen, die das vermelden, bezeugen seine Berühmtheit. Doch mittlerweile ist Manuel Kaminski, letzter Vertreter der klassischen Moderne, fast in Vergessenheit geraten. Eine sehr elaborierte Foto-Montage, mit der Wolfgang Becker seinen Film „Ich und Kaminski“ eröffnet, wirft Streiflichter auf Kaminskis künstlerische Vita und etabliert thematisch zugleich das vielfach reflektierte Verhältnis von Wahrheit und Täuschung, Wirklichkeit und Schein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Polen geboren, im Paris der Zwischenkriegszeit als Schüler von Matisse und Freund Picassos zum Künstler gereift, reüssiert Kaminski eher unfreiwillig im Kontext der Pop-Art. Als Maler sei er „ein Lügner, der uns die Wahrheit begreifen lässt“, wird Pablo Picasso zitiert, während wir auf die täuschend echten, aber gefakten Bilder seines Lebens blicken, die Kaminski im Kontakt mit allerlei Szene-Berühmtheiten zeigen. Dass der „rastlose Künstler“ angeblich unter einem zunehmenden Verlust der Sehkraft litt und schließlich zum „blinden Seher“ wurde, produziert Spekulationen und markiert zugleich eine weitere Facette des schillernden Themas.
Als wäre das nicht schon genug, wird der Vorspann sogleich als Traum und Wunschphantasie des titelgebenden Ichs enttarnt. Dieses übersteigerte, sich selbst kaum kennende Ego, das gewissermaßen von einer Blindheit ganz anderer Art gezeichnet ist, gehört dem windigen und ziemlich eingebildeten Kulturjournalisten Sebastian Zöllner (Daniel Brühl). Zwischen Ich-Sucht, Erfolgsstreben und Größenwahn oszillierend, verkörpert dieser nicht nur den ruhmsüchtigen Aufschneider, der die effektheischende Legende der Wahrheit vorzieht, sondern auch einen Gefangenen seiner eigenen Verblendung und Uneigentlichkeit. Daniel Brühl spielt diesen Unsympathen als leicht schmierigen, ungehobelten Angeber, der sich zum Biographen Kaminskis aufschwingt, um seinem eigenen Leben eine „Chance“ zu geben; und der in seiner selbstsüchtigen Blindheit zunehmend tragische Züge gewinnt. Das ist letztlich weniger witzig, als es sein soll. Und auch wenn Brühl kräftig und mit teils derbem Humor gegen sein Rollen-Image anspielt, bleibt er nie ganz unsympathisch.
Weil Zöllner also vom Ableben des großen Malers träumt und sich davon einen Aufschwung für die eigene Karriere erhofft, reist er für Recherchen in die Schweizer Alpen, um den alten Kaminski (Jesper Christensen) persönlich aufzusuchen. Schließlich wittert der verschwitzte Eindringling in dem zurückgezogen und abgeschirmt lebenden Maler „die Quelle schlechthin“. Doch seine holprig-dilettantischen Nachforschungen, die er zudem mit unlauteren Mitteln führt und die ihn schließlich zusammen mit Kaminski auf einen Trip an die belgische Küste führen, bleiben irgendwo in der Mitte zwischen Wahrheit und Lüge stecken. Dabei thematisiert Wolfgang Becker auf dieser Reise in die Vergangenheit Kaminskis, die die etwas angestrengt und steif wirkende Komödie mit einem veritablen Roadmovie verbindet, nicht nur die Selbsttäuschungen des Kunstbetriebs, sondern auch die Möglichkeiten zur Selbsterkenntnis im Spannungsfeld zwischen Jugend und Alter. Freilich ohne diese in bezug auf seine Protagonisten allzu offensichtlich einzulösen.
So ist Beckers in acht Kapitel gegliederte Adaption von Daniel Kehlmanns 2003 erschienenem Roman „Ich und Kaminski“ eher ein ernster denn ein lustiger Film geworden. Vom ambitionierten Intro bis zum nicht minder kunstvollen Abspann, der unter den besonderen Vorzeichen des Films einen anspielungsreichen Gang durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts unternimmt, spürt man die Sorgfalt und Genauigkeit, mit der Becker, sein renommierter Kameramann Jürgen Jürges, der internationale Cast (zu dem u. a. Amira Casar, Geraldine Chaplin und Denis Lavant gehören) sowie viele andere Kreative den Film gestaltet haben. Nur bleibt dieser, von leichten Zeit- und ironischen Gedankensprüngen (oder auch das Handeln kontrastierenden Monologen) beflügelt, immer wieder etwas unterkühlt, farblos und unentschieden zwischen Illusion und Wirklichkeit hängen. Dabei vermittelt er zumindest in Teilen an manchen Stellen Funken jener aufblitzenden Selbsterkenntnis, die die Titelhelden jeweils mit sich selbst versöhnen könnte.