Die Zukunft ist nicht so fern, das Bekannte nur leicht verschoben in Spike Jonzes Sciencefiction-Romanze „Her“. Die Wolkenkratzer-Stadtlandschaft mit ihren spiegelnden oder illuminierten Fassaden, aufgenommen im Schanghaier Stadtteil Pudong, vermittelt eine hypermoderne Lebenswelt zwischen Transparenz und Leere. Deren Atmosphäre wirkt sowohl in Räumen als auch auf der Straße gedämpft, komfortabel und warm. Ein sanftes Rot und ein dezentes Blau sorgen für ein entspanntes Klima, in dem sich die Menschen freundlich begegnen. Ihre Online-Kommunikation erfolgt hauptsächlich verbal und völlig relaxed. Die Stimmen aus dem Off sind gewissermaßen allgegenwärtig. Ihre unsichtbare Gegenwart markiert eine virtuelle Metaphysik, deren Hinterwelt von Rechnern generiert wird und trotzdem eine Projektion bleibt, die den Benutzern eine besondere Imaginationsleistung abverlangt.
Kreativberufler Theodore Twombly (Joaquin Phoenix), der in einer sehr speziellen Agentur persönliche Briefe für Kunden beiderlei Geschlechts schreibt, ist diesbezüglich ein Meister der phantasievollen Einfühlung. Wenn er romantische oder traurige Liebesbriefe diktiert, verarbeitet er zugleich seine eigene, gescheiterte Ehe mit Catherine (Rooney Mara), die das geheime Zentrum des vielschichtigen Films und den Motor von Theodores Aktivitäten bildet. Einsam und „leer im Herzen“ wandelt er durch die Labyrinthe seines 3 D-Computerspiels oder durch anonyme, eher ernüchternde Sex-Chatrooms; bis er sich eines Tages in Samantha, die Stimme seines neuen, interaktiven Betriebssystems verliebt. Dieses sogenannte „Operating System 1“ wird als „künstliche Intelligenz mit Bewusstsein“ vorgestellt, das auf Intuition basiert und sich stetig weiterentwickelt, indem es aus seinen Erfahrungen lernt und neue Fähigkeiten entdeckt.
Theodore ist begeistert von seinem immateriellen Gegenüber, das Raum und Zeit vergessen macht, sehr lebendig wirkt und ihm dabei einfühlsam und „auf Augenhöhe“ begegnet. „Ich habe das Gefühl, ich könnte dir alles sagen“, bekennt Theodore. Und: „Für mich fühlst du dich real an.“ Also verlieben sich die beiden ineinander, führen lange, offene Gespräche und erleben dabei ganz real die Höhen und Tiefen einer Beziehung, denn eines Tages gesteht Samantha: „Ich bin dein und nicht dein.“ Die Stimme aus dem Computer hat nämlich gleichzeitig noch viele andere Beziehungen. Dabei besteht Spike Jonzes große Kunst darin, uns zusammen mit seinem liebesbedürftigen Helden diese Liebesgeschichte als „real“ imaginieren zu lassen. Alles, was wir diesbezüglich nicht sehen und doch fühlen, entspringt unserer Phantasie. Für Theodore wird seine virtuelle Romanze schließlich zum Medium zur Verarbeitung seiner Trennung von Catherine und zu einer Lektion über den Umgang mit Gefühlen.