Zu Fuß von Zürich nach St. Gallen, von seinem Wohnort zur Stadt, in der er aufgewachsen ist, führt den Schweizer Peter Liechti das Filmprojekt „Hans im Glück“ – und seine Rosskur, mit der er sich die täglichen 50 Zigaretten abgewöhnen will. Vom ersten Schritt an wird nicht mehr geraucht, die Kamera dokumentiert die lange Reise, das Tagebuch hält Gedanken fest. Scheinbar richtungslos wurden hier Gedanke, Assoziation und Bild, und Bildschnipsel aus ganz anderen Filmen am Schneidetisch zusammengefügt zu einem Film, der künstlerische Dokumentation ist, oder Poesie im Reality-Format, zugleich Abbilden und Abschweifen.
Der Nebel des Nikotinrauschs wird ersetzt durch die Nahsicht auf die Heimat, die Ostschweiz, die – wer vermag da die inneren von den äußeren Perspekiven zu unterscheiden? – je nach Entzugsleid unschöner aussieht. Die Ungeduld im Krieg gegen das Nikotin – die weitgehend unausgesprochen bleibt – entlädt sich so einmal in der Wut auf die Leute, aber die Neugierde auf die Unabhängigkeit und die innere Veränderung während der Loslösung vom Gift, und der offene Blick auf das Land, seine Landschaften, seine Menschen und die ewig laufenden Füße des nichtrauchenden Rauchers treiben Film und Filmemacher voran.
Eine Schweiz, in der nichts mehr so ist wie früher, Schweizer, die so leben, als sei alles noch immer so wie früher, Touristenfolklore, überschwemmte Gebiete am Bodensee, Busse, Unwetter im Gebirge, die Poesie von Parkbänken im Regen, stundenlanges Warten auf den Moment, an dem der Zug über die Brücke fährt und immer wieder Raucher. Mitunter raucht alles: Silvesterraketen, Flugzeuge, und Zigarren in Kindermündern, Zigaretten in Mündern todkranker Lungenkrebspatienten. Dazwischen Portraits der Lieblingstiere: Gazellen, Fische. Und dann ein Besuch bei den Eltern, die letzte Filmaufnahme der Großmutter. Straßenbahnen, Sessellifte, eine Heroinabhängige, coole Jugendliche, denen man ansieht, wie anstrengend das Coolsein sein muss. Assoziierte Splitter der Straßen, der Hotels, Ausschnitte eines Schweizpanoramas, schier zusammenhangslos, die auf ihre Dechiffrierung warten und ihr atemloser Sammler:
„Seit das Rauchen kein Problem mehr ist, wird mir das Denken zum Problem. Kaum hör ich auf mit dem Rauchen, fang ich schon an mit dem Denken. Wo früher das Denken limitiert war, da denk’ ich heute völlig ungebremst drauflos. Das bedeutet nicht größere Denkschärfe oder Denktiefe, vielmehr ist es eine Art gedankliches Hyperventilieren. Schon gegen Mittag hat sich mein Denken im Grunde erschöpft bei dieser Gedankenraserei – dann geht’s aber den ganzen Tag noch weiter.“
Monologe vom Überdruss, vom Unglück und Glück der Langeweile, Reflexionen über die Endlichkeit, ein Kreisen ums Altwerden und Altsein, um die Angst vorm Tod, um die eigene Feigheit und um die Würde alter Menschen wechseln ab mit Beobachtungen des scheinbar Banalsten. Eine Markierung des Schwerpunkts durch immer größere und freiere Pirouetten. Die Schweiz als Kosmos, die Person Liechti als Mikrokosmos, aber eine Trennung zwischen beidem ist nicht möglich, das eine geht durch das andere hindurch und das andere ist im einen enthalten: Der Mensch, in eigener Transformation begriffen und als Transformator der Außenwelt; in diesem Film ist er Privatestes und Gesamtkunstwerk in einem.
Liechti bleibt ein paar Wochen lang rauchfrei. Dann genießt er das schöne Gefühl, der eigenen Schwäche nachzugeben, und raucht wieder so viel wie vorher. Der zweite Marsch im Sommer und der dritte Marsch im Herbst über jeweils andere Routen folgten notgedrungen – war er noch nicht fertig mit dem Rauchen oder mit dem Film? Ein Drama braucht drei Akte – und die Schweiz etwa drei Jahreszeiten.
Irgendwann dann der Peterer, Liechtis Hans im Glück, der mit seinem tänzelnden, glücklichen Schwein spazieren geht und am Ende darauf reitet. Liechti, in diesem Augenblick so weit entfernt wie nie von Nikotingelüsten, erkennt: „Zigaretten hätten den feinen Zauber sofort zerstört und Peterers Verrücktheit auf öbszöne Spielchen reduziert. Nikotin ist eine kalte, vulgäre Droge, die einem bald einmal den Zugang verwehrt zu delikateren Realitäten.“
„Hans im Glück“ ist ein Marsch zwischen vielen Polen, zwischen Gift Nikotin und Gegengift Schweiz, von einer Gegenwart zu einer Vergangenheit und zurück, vom Prosaischen zur Prosa, vom Bild zum Wort zum Bild, vom Wissen zur Erfahrung, von der Antwort zur Frage. Der Fußmarsch als Ziel, undenkbar ohne Vertrauen in ein verstecktes Dazwischen.