Ein großartiger Film, der im Kleinen – aus der Sicht eines neunjährigen Mädchens – die unfassbare Kontinuität vorführt, mit der die Nazis nach 1945 nicht nur Nazis blieben, sondern wie selbstverständlich in die Opferrolle schlüpften. In Wels, Oberösterreich. Nächste Grenzstadt zu Bayern ist Braunau am Inn. Regisseur Andreas Gruber, in Wels geboren, wohnt auch heute in Wels. Als Junge war er in derselben Clique wie Elisabeth Escher, deren Roman er jetzt verfilmt hat. Seinen größten Erfolg hatte er vor gut 20 Jahren mit der »Hasenjagd. Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen«. Bürger in und um Krems an der Donau erlegen mit Begeisterung Halbverhungerte, die aus dem KZ ausgebrochen waren. Die Beute wird aufgetürmt, wie es sich nach einer erfolgreichen Jagd gehört. Über hunderttausend Zuschauer hatte der Film in Österreich.
Zurück zu Hannas schlafenden Hunden. Die Jäger blasen in ihren traditionellen Uniformen wieder ihr Halali, diesmal in der Kirche. Die Töne kenn’ ich doch. SA marschiert, die Reihen fest geschlossen und Reaktion erschossen. Hannas Familie nimmt an der katholischen Kulturpflege teil. Sie will um Gottes Willen nicht auffallen. Das Geheimnis soll bleiben. Ein Familiengeheimnis, 20 Jahre nach dem Krieg. Hannas resolute, aber blinde Oma lüftet es. Hanna ist also Halbjüdin. Wird sie jetzt in der immer noch naziverseuchten Stadt ausgegrenzt werden?
Die Enkelin (Nike Seitz) und die Oma (Hannelore Elsner) befreien sich aus der Opferrolle, aus den Welser Verhältnissen. Und das ist körpernah gespielt. Weit, weit weg sind pädagogische Argumente. Oder die neuerdings für unabdingbar gehaltene Sensationsaufmachung à la ‚Der Jude ist schwul‘. Was in Grubers Film zählt, ist die Nähe, der eindringliche Blick auf die Details, die Beschränkung auf die Wiedergabe von Vorgefundenem – im Guten wie im Bösen. Und was sich einstellt, ist die einzigartige Beteiligung des Zuschauers, die Intensität des Wahrnehmens.– Gut, ich spreche von mir. Aber vielleicht nicht nur. In der Musik ist es doch normal, etwas con sentimento zu spielen und zu empfinden. Also schließe ich meine Eloge auf ‚Hannas schlafende Hunde‘ mit einem Ja zur sentimentoaffinen Rezeption.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 06/2016