Sterben und retten, bekehren und beten in ‚Hacksaw Ridge: Die Entscheidung‘
Das Biopic eines Real Life-Buben aus dem ländlichen Virginia: Jugend in häuslicher Gewalt, zarte Freuden junger Liebe, Freiwilligmeldung im Zweiten Weltkrieg, schikanöse Ausbildung, Einsatz als Sanitäter bei der extrem blutigen Schlacht um die japanische Insel Okinawa kurz vor Kriegsende 1945. Dort, auf dem titelgebenden Berg ‚Hacksaw Ridge‘, spielt die zweite Filmhälfte: Sturmlauf durch Feindfeuer in schwelgerischen Totalen wie auch ausgespielten Details, Explosionen, dazwischen Dialoge in bedächtigen Close-ups. Im kundigen Einsatz von Bajonett-Toneffekten, pirouettenfreudig hochgeschleuderten Leichen und Zeitlupe in Bild (Gewehrkugeln schweben) und Ton (Schreie mümmeln) entsteht ein rundes Kriegsfilmbild: ein imposantes Infernopanorama.
Skurril und seltsam vertraut
Manches, was der beherzt helfende Held tut, wirkt skurril (Sergeantschlittenschleppen, Wegkicken einer Handgranate). Anderes in dem Film erinnert an Kriegsfilmgroßkaliber: die injektionsselige Krankenschwester – eine von Teresa Palmer gespielte, gänzlich farblose Figur – an ‚Pearl Harbor‘, der rumbrüllende Ausbilderschleifer (Vince Vaughn) mit Faible für Demütigungsrituale und Schimpfnamen an den Drill Sergeant in Full Metal Jacket‚, die Helmdurchlöcherungen und der Todeskampf bis zum Einander-Anplärren an ‚Saving Private Ryan‘, schließlich das Einsammeln reihum hilferufender Verwundeter an ‚Forrest Gump‘.
Umso deutlicher tritt die Eigenart des Films hervor, die von seinem Regisseur herrührt. Zwar legt der vormalige Spider-Man Andrew Garfield den als Retter hochdekorierten Verweigerer des Dienstes an der Waffe (wohlgemerkt: Er meldet sich freiwillig zur patriotischen Kriegspflicht und will Leben retten, nur eben keine Knarre – ösideutsch: Krochn – tragen) sympathisch als bescheidenen und humorvollen Schlaks an. Diesen angenehm atypisch erscheinenden Actionfilmhelden erhebt jedoch Regiefundamentalist Mel Gibson zum großen Erdulder angesichts verabreichter Schmerzen und drohenden Todes – aber nicht mit masochistischen, orientalistischen und homophoben Akzenten wie Angelina Jolie in ihrem ebenfalls unter Amis auf dem pazifischen Weltkriegsschauplatz angesiedelten ‚Unbroken‘, sondern vielmehr ganz in der identitären Tradition des Nationalstolzes von Gibsons ‚Braveheart‘ (1995) und der antisemitisch verbrämten Erlösungsbotschaft seiner Passion Christi‚ (2004). ‚Die Entscheidung‘ heißt ‚Hacksaw Ridge‘ im deutschen Zusatz – ein Allerweltstitel, der hier jedoch eine brachialspiritualistische Aufladung erfährt: Das Shell-Shock-Erlebnis als Zentralmotiv im Kriegsfilm der Jahrtausendwende wird hier vom Erweckungserlebnis abgelöst, der Trauma-Soldat vom Märtyrer als Modellsubjekt.
Griffith 1917 – Gibson 2017: Allegorie der ‚Intoleranz‘
Revision ist da Programm: Die Streitkräfte bieten hier selbst einem conscientious objector einen Rahmen zur Bewährung seiner Berufung, und der versoffene, gewalttätige Vater des Helden (Hugo Weaving) rehabilitiert sich, als er seine alte Montur samt Orden aus dem Ersten Weltkrieg anlegt, um seinem Sohn vor dem Militärgericht, das den ungebührlichen Pazifisten aus der Armee entfernen will, beizustehen. Hier liegt nun allerdings nicht so sehr ein Kontinuum eines militaristischen, uniformverliebten US-Kinos vor. Vielmehr werden hier Traditionen des Schmelztiegel-kulturalistischen, liberalen oder sanft progressiven Hollywood-Kriegsfilms modifiziert, was die Beziehung zwischen der kollektiven Institution und einem Misfit betrifft: Der zu Unrecht Exkludierte, der von seinen Kameraden Prügel bezieht und diese stolz verleugnet, um dabeibleiben zu können, das war einst – vom antisemitisch schikanierten Montgomery Clift in ‚The Young Lions‘ (1958) bis zu den Rassismus gewohnten African Americans Cuba Gooding, Jr., Terrence Howard oder Michael Ealy bei der Navy, Air Force oder Army in ‚Pearl Harbor‘ (2001), ‚Hart’s War‘ (2002) und ‚Miracle at St. Anna‘ (2008) – eine Minority-Figur, ein jüdischer, ein schwarzer oder wie in ‚Windtalkers‘ (2002) ein Navajo-Soldat. Nun ist offenbar Schluss mit der Kultur der bürgerrechtlichen Integration, denn nun bezieht diese Position ein Adventist, Anhänger einer protestantischen Freikirche, also christlich-weiße Avantgarde: Erst wird er sträflich verkannt, gescholten und geschlagen – am Ende dient er der Truppe als strahlendes Vorbild und Vorbeter. Ein Schelm, wer darin die implizite Selbstabbildung eines lange Zeit zurecht kritisierten, möglicherweise unsanft marginalisierten und nun (wofür?) wieder gefeierten Filmemachers sehen will: Was Griffith 1917 sein ‚Intolerance‘ war – ein Film, der die für den Rassismus seines ‚Birth of a Nation‘ erhaltene mancherseitige Kritik, missverstanden als ‚Intoleranz‘, in die Gewalt-Geschichte projizierte –, das ist Gibson genau hundert Jahre später sein ‚Hacksaw Ridge‘. Und auch wenn der Film seine Glaubensfestigkeit zu sehr forciert, um geradeaus als frühe Filmversion eines trumpistischen White Power-Populismus zählen zu können: Ein Prachtstück von illiberalem, neurechtem Kino ist das allemal.