Dichtung und Wahrheit liegen ziemlich weit auseinander in Philipp Stölzls mit Ausrufezeichen versehenem Film „Goethe!“ über den genialischen Dichter als junger Mann. Als Idee und dramaturgisches Movens einigermaßen strapaziert, produziert die daraus abgeleitete künstlerische Freiheit reinsten Kintopp. Das zeigt schon der Anfang des vergnüglichen Unterhaltungsfilms, wenn der 23-jährige Studiosus und Heißsporn mit wehenden Fahnen und wenig Sachkenntnis durch das Jura-Examen rasselt. Unter seinen Straßburger Kommilitonen heißt es deshalb von ihm, er trinke viel und rede wenig. Tolldreistes, jugendliches Ungestüm und eine mit großer, provozierender Geste vorgetragene Lebendigkeit kennzeichnen die von Alexander Fehling gespielte Figur. Die virtuose, tempogeladene Inszenierung vermittelt darüber ihre Version des Sturm und Drang. Mit Leidenschaft geht es gegen die Vernunft, mit überschwänglichem Wollen gegen die verstaubten Konventionen und mit „wahrer Kunst“ gegen den Schwulst der Zeit.
Vom strengen Herrn Vater, der das „lächerliche Geschreibsel“ des hitzköpfigen Poeten für sein Scheitern verantwortlich macht, wird der aufmüpfige Sohn daraufhin ans Reichskammergericht nach Wetzlar „strafversetzt“. Stölzl benutzt den Topos vom verkannten Genie, das seine innere Berufung gegen widrige Umstände behaupten muss, um Goethes künstlerische Erweckung als paradigmatische Erzählung ins Kinobild zu setzen. Und dazu gehört in diesem Fall die unglückliche, verzehrende Liebe zu einer Frau, die einem anderen versprochen ist. Charlotte Buff (Miriam Stein) heißt die Angebetete und Seelenverwandte aus kinderreicher Familie, die mit modernem Selbstbewusstsein auftritt und letztlich die familiäre Pflicht über die Neigung des Herzens stellt. Ihr Lieblingsdrama ist Lessings „Emilia Galotti“, während Goethe ihr mit Versen aus seinem Gedicht „Willkommen und Abschied“ seine Liebe gesteht: „Ganz war mein Herz an deiner Seite/Und jeder Atemzug für dich.“
Philipp Stölzl inszeniert das Aufkeimen und kurze Blühen dieser Liebesleidenschaft vor romantischer Kulisse und versieht ihr Scheitern wiederum mit Zügen tragischer Ironie, die bis ins Komische reichen. Das schlägt sich vor allem in der Zeichnung von Goethes Gegenspieler und Vorgesetztem, dem Gerichtsrat Kestner (Moritz Bleibtreu), nieder. Man dürfe nicht zu lange Warten beim Jagen, sagt dieser und entlarvt dabei auf ebenso unfreiwillige wie ironische Weise sein eigenes, kaum selbstverdientes Liebesglück. Goethes schicksalhaftes Liebesunglück hingegen, gespiegelt am Freitod seines Kollegen Wilhelm Jerusalem (Volker Bruch), dient dem angehenden Dichter als Modell für die Kunst und insbesondere als Vorlage und Inspirationsquelle für seinen Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“.
Philipp Stölzl beansprucht für sein turbulent-schwungvolles, völlig unverkrampftes Biopic gewissermaßen jene größtmögliche künstlerische Freiheit, die er seinem Protagonisten an prominenter Stelle in den Mund legt, um das besondere Verhältnis von Leben und Kunst auf den Punkt zu bringen: „Es ist mehr als Wahrheit, es ist Dichtung.“ So wird Charlottes Liebesverzicht schließlich zum Motor für Goethes Dichterwerdung stilisiert, während der frisch gebackene Poet, eben noch inhaftiert, bei seiner Ankunft in Frankfurt zum stürmisch gefeierten Popstar mutiert.