Genosse Münchhausen

(BRD 1962; Regie: Wolfgang Neuss)

Ein Paar Vasen

Die große alte Indianerin des deutschen Kabaretts, Wolfgang Neuss (»Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen«) wäre in diesem Jahr (2012) 89 Jahre alt geworden, wenn sie nicht, natürlich, und wie immer, viel zu früh, nämlich schon 1989 an Krebs und 66-jährig gestorben wäre. Wie es in Deutschland so üblich ist, werden, wenn überhaupt, Menschen von Format und Bedeutung nur für irgendetwas für ihr Lebenswerk total Nebensächliches berühmt. Bei Neuss war diese Nebensache, dass er per Berliner Zeitungsannonce den Mörder einer sechsteiligen Fernseh-Krimiserie („Das Halstuch“, Francis Durbridge) verriet, offenbar ohne dessen gewiss zu sein, aber mit Trefferinstinkt (natürlich war es Dieter Borsche). Neuss verbrach dies, indem er gleichzeitig die Zuschauer aufforderte, doch besser im Kino seinen eigenen Film „Genosse Münchhausen“ anzusehen.

Die intellekt-unterbestückte „Bild“-Zeitung beschimpfte ihn umgehend als „Vaterlandsverräter“ (wenn man die Preisgabe eines Mörders als den Verrat des Vaterlandes bezeichnet, dann erweckt das in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg doch schon interessante Assoziationen …), aber Zuspruchsschwankungen hätte der Film sicherlich auch ohne seine ziemlich blauäugig kumpelige Annäherung an das deutsche Volk von 1962 erfahren, wenn man sich nur ansieht, was er losließ, angesichts dessen, auf was er es losließ.

„Genosse Münchhausen“, 1962, ist seinem frei flottierenden geistigen Gehalt nach einem Helge-Schneider-Film, wie „Jazzclub“, ziemlich näher als etwa seinem zeitgenössischen Vorbild-Exemplar, Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ aus dem Vorjahr, das nicht nur eine ähnliche Thematik, nämlich den Ost-West-Konflikt, sondern auch den leichten Anschauungstonfall besitzt, nämlich die deutschen Nachkriegskrüppel zu bespaßen versucht (vergleichbar wie man heutzutage das mit unterbetreuten Kindern macht), aber zugleich alles darunter, dahinter oder darüber Liegende ebenso zu verkleinern versucht, wie eben auch „Eins, zwei, drei“ es tat, indem er Ideologien und Gefühle auseinander zu halten trachtete. Nach dem GAU geht’s erst mal um Schadensbegrenzung, und die heißt im akuten Fall: Wir machen erstmal einen Witz.

Zum Einen ist „Genosse Münchhausen“ eine leidlich leichte und mäßig lustige Nachkriegsundvorkalterkriegsostwestfarceunddurchhalte-Komödie geworden, zum Anderen ein Brainstorm jemandes, der sein Gehirn immer lieber frei flattern lassen musste, ohne Rücksicht auf Verluste (Neuss). Und dieser, der akustisch schlecht verstehbare, dennoch und auch aus dem Off unablässig fließende und schwierig filmisch fixierbare Teil jenes leidlich filmischen und eher verbalen Teiles ist der des Erforschens würdigere dieses Filmes, und sicherlich bis heute der, der Wolfgang Neuss würdiger wäre.

Aber (sich selbst nicht ausgenommen) zusammengenommen, ergibt das Filmprojekt „Genosse Münchhausen“ eine spürbare Satire auf dieses merkwürdig unbeschwerte Deutschland (16 Jahre nach Ende dieses fatalen Vernichtungs-Kriegs und Massenmordes), also so, als wäre es irgendwie lustig, als wären nur ein paar Vasen zerdeppert worden, und man sich nun anderen, neuen und ebenso unbeschwerten Fehlern hinzugeben erlauben dürfe, wie einem lustigen Ost-West-Konflikt inkl. Atombombe.

Pervers also, eingedenk, und aber auch signifikant. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland bis heute noch keinen kommensurablen Ansatz für den Umgang mit „seinen kleinen Sünden während des 2. Weltkriegs“ gefunden hat, ist es kein Wunder, wenn es in Form von Wolfgang Neuss frei rumsponn.

Ich liebe ihn und bedaure sein Verschwinden. Vergleichbar mit Tucholsky. Warum eigentlich hat der Deutschland verlassen? Jemand wie Volker Pispers beweist, dass echtes Kabarett immer noch lebt. Aber und: und ich habe vergessen, zu sagen, dass Wolfgang Neuss eigentlich besser als Kabarett und nicht als Film funktionierte …

Worum es geht in Genosse Münchhausen wird nicht verrraten. Na gut: Dieter Borsche!
Zusatz: Eine perverse Zeit mit perversen Geldgebern (CDU und SPD), die alle noch nicht wirklich wirkliche Polaritäten, und noch weniger das, was unsere heutige Politik, und überhaupt, unsere Welt heute ausmacht, gekannt haben, förderten gemeinsam den Film eines, als wäre das nicht damals schon auszumachen gewesen, zukünftigen Kiffers in spe vor dem Herrn.

Mit auf der DVD befinden sich zwei weitere deutsche Filme der frühen Sechziger, denn die DVD, auf der 'Genosse Münchhausen' erschienen ist, ist ein Nebenprodukt des Cinefest 2012, das sich dem deutschen Kino in der Phase des Kalten Krieges vor dem Oberhausener Manifest widmet. Die Kurzfilme 'Klammer auf, Klammer zu' von Hellmuth Costard und 'Erzählung über eine Liebe' von Roland Oehme sind zwei je anschauliche Beispiele für zaghafte neue Wege des Kinos West und Ost. Da wo Costard eindeutig seine Godard-Inspiration auslebt, und ein unkonventionelles junges Paar, ähnlich übrigens wie später May Spils in 'Zur Sache Schätzchen' (nur nicht so komisch), mittels Jump Cuts durch eine restriktive und emotional erstarrte BRD fahren lässt, da schildert Oehme beeinflusst vom jungen tschechischen Film und geschult in der Filmschule die Geschichte eines Arbeiter-Pärchens in der jungen Deutschen Demokratischen Republik, deren zum Teil ungeschminkte Frauenfeindlichkeit (Mehrfachvergewaltigung als männlicher common sense) doch ein ernüchterndes Bild des östlichen Nachkriegsdeutschlands liefert, eines Deutschland, dessen barbarische Sitten mit sozialistischen Idealen wenig zu tun haben.

Alle drei Filme sind einen Tipp wert, schon weil der Normalkonsument ja nicht einmal ahnt, dass es dergleichen im Kino überhaupt gab. Als aufgefüllte Bildungslücke im Kino-Geschichtsunterricht oder überhaupt als Beleg für das Vor-68er-Deutschland ist diese DVD sehr nützlich und interessant.

Benotung des Films :

Andreas Thomas
Genosse Münchhausen
Deutschland 1962 - 89 min.
Regie: Wolfgang Neuss - Drehbuch: Wolfgang Neuss - Produktion: Wolfgang Neuss - Bildgestaltung: Hugo Schott - Montage: Berndt Banach - Musik: Rudolf Maluck, Johannes Rediske - Verleih: absolut medien - FSK: ab 12 Jahre - Besetzung: Wolfgang Neuss, Corny Collins, Ingrid van Bergen, Peer Schmidt, Wolfgang Wahl, Johanna König, Balduin Baas, Rainer Brandt, Hans Dieter Zeidler,Helga Schlack, Astrid Haik, Marlene Warrlich
Kinostart (D): 24.06.1962

DVD-Starttermin (D): 23.11.2012

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt0056013/
Link zum Verleih: http://www.absolutmedien.de/main.php?view=film&id=1484