Free the Mind

(SW / NL / AUS / FIN / DK 2012; Regie: Phie Ambo)

Gewissensfreiheit

„Free the Mind“? Gute Idee! Nur überlegt “the Mind”, dieser ewige Zweifler, unwillkürlich: Wovon sollte ich denn eigentlich befreit werden? Der Dokumentarfilm der dänischen Regisseurin Phie Ambo präsentiert zwei psychische Erkrankungen, die man niemandem wünschen möchte, an denen dennoch viele Menschen leiden, zum einen ADHS, das Aufmerksamkeitdefizitsyndrom, was durchaus nicht nur bei Kindern auftritt, dort aber bevorzugt wahrgenommen und gerne medikamentös behandelt wird.

Als Fallbeispiel dient Will, ein fünfjähriger Junge, der in seinem ersten Lebensjahr allein bei fünf verschiedenen Pflegeelternpaaren untergebracht war und zudem das Erlebnis, alleine in einem Fahrstuhl festzustecken, niemals verwunden hat und seitdem Panikattacken bekommt, sobald er nur einen Fahrstuhl sieht.

Das zweite quälende Syndrom ist die Posttraumatische Belastungsstörung, genannt PTBS, eine psychische Erkrankung, die besonders häufig bei Kriegsveteranen beobachtet wird. Der Film zieht zur Syndrom-Beleuchtung heran „Steve“ und „Rich“, beide noch junge Männer, aber schon Kriegsveteranen, die für die USA in Afghanistan „dienten“, beide, so scheint es, unheilbar verstört angesichts ihrer Erlebnisse und Taten als Soldaten. Rich kommt nicht über das Miterleben des qualvollen Todes zweier Freunde bei einem Bombenangriff hinweg und Steve kann nicht vergessen, wie er als Verhörsoffizier dazu gezwungen war, „schlechte Dinge zu tun“ und „wie gut“ er darin war, diese „schlechten Dinge zu tun“. Beide leiden unter Schlafstörungen und unter übergroßer Reizbarkeit, beide haben das Interesse an Dingen verloren, die sie früher gerne mochten. Richs Ehe ist schon kaputt gegangen, und Steves Ehe ist sichtbar gefährdet, weil er seine Aggressionen nicht mehr richtig unter Kontrolle hat.

Für alle Beteiligten scheint zu gelten – „Free the Mind“ jedenfalls stellt es in seiner etwas vereinfachenden Art zunächst so dar -, dass sie als Langzeitindizierte auf eine langfristige Milderung der Symptomatik angewiesen sind und zwar üblicherweise in Form einer pharmazeutischen Therapie, wie z.B. Ritalin (bei ADHS) oder Ambien (bei PTBS). Sonst, so suggerierts der Film, scheint es nichts zu geben. Von der klassischen Psychotherapie, von einer Traumatherapie, von Kinder- und Jugendpsychologie scheint Regisseurin Ambo nichts zu wissen bzw. nichts wissen zu wollen, ebenso wenig wie die Pflegeeltern von Will, denn, wie es das DVD-Booklet verrät: „Anstelle von traditionellen Behandlungsmethoden möchten seine Eltern alternative Methoden ausprobieren.“ Wer nicht will, der hat vielleicht schon.

Dass diese „alternativen Methoden“ sich dann aber nur auf eine von unzähligen Alternativen fokussieren, erscheint dann doch ein bisschen tendenziös. Denn die „Alternative“ hat einen Namen und heißt Professor Richard Davidson. Seines Zeichens Neurowissenschaftler, Psychologe und Psychiater, schon seit Jahren praktizierender Meditierender, erforscht er seit Jahrzehnten die heilende Kraft der Atemmeditation, des Yoga auf unsere Hirnströme (welche im Film immer wieder sehr stimmungsvoll und musikalisch unterlegt visuell als eine Art blitzende Kabel simuliert werden). Besonders neu ist sein Ansatz, nicht nur den lokalen Sitz von Depressionen oder Ängsten im Gehirn zu erforschen, sondern auch die Hirnorte, wo sich Empathie und Mitgefühl manifestieren.

Die „Therapieform Meditation“ nun vergrößerte nachweislich die Erscheinungsbilder in den Arealen von Güte, Liebe etc. im Hirn und damit verbunden, so heißt es, auch im Charakter der betreffenden Personen. Auch bei den Patienten mit den oben beschriebenen Leiden – und das dokumentiert der Film – veränderten sich bereits nach einer Woche regelmäßiger bis zu täglich dreistündiger Atemmeditation die betreffenden Areale zum Positiven und: Die drei Patienten scheinen wirklich vom Druck befreit, der auf ihrem Leben lastete.

Der kleine Will traut sich wieder, mit einem Fahrstuhl zu fahren und die Afghanistan-Veteranen verspüren wieder Lebensfreude.

Einmal ganz von der Binsenweisheit abgesehen, dass fernöstliche Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation seit jeher einen positiven Einfluss auf menschliche Psyche und Körper bewirkt haben, könnte der Film den Eindruck erwecken, (und er distanziert sich dabei überhaupt nicht von Davidson selbst) als käme die Wirksamkeit von Atemübungen aus der Lehre des Yoga letztlich doch nur dadurch zustande, dass man (Davidson) diese Wirkung bildlich veranschaulichen kann, was natürlich Unsinn ist.

Viel fragwürdiger jedoch ist das Paradigma, das offenbar hinter dieser Art von Funktionalisierung und Mechanisierung des menschlichen Gehirns existiert, und das speziell in der modernen Hirnforschung verbreitet zu sein scheint, wonach die gewonnene Fähigkeit, emotionale Prozesse und Denkprozesse nicht nur abzubilden sondern auch mechanisch bzw. physisch zu beeinflussen, dazu zu verführen scheint, herkömmliche Faktoren menschlicher Fühl- und Denkweisen, wie Erfahrungen oder Denkmuster, sprich Lebensgeschichten und daraus resultierende Lebensstrategien und –einstellungen als sekundär zu bewerten.

Im Fall von „Free the Mind“ (und deshalb ist auch der Titel schon so unangenehm zweideutig) könnte das gar zum Schluss verleiten, dass es ja nichts ausmacht, wenn Soldaten dazu angehalten werden, „schlechte Dinge“ zu tun, solange man sie aus den daraus resultierenden Traumata befreien kann. Man könnte sie vielleicht sogar mehrfach „wieder verwenden“, wenn das zum Betreiben eines „notwendigen Krieges“ (selbigen hinterfragt dieser Film nicht ein einziges Mal) angezeigt wäre.

Dass ausgerechnet ein Trauma, das ein offenbar bis an die Grenze des Folterns agiert habender Soldat davon zurückbehält, nur als pathologische Einschränkung betrachtet und behandelt wird, ist symptomatisch für eine Zeit, der das Gewissen, wenn nicht gar überhaupt das reflektierende Denken, wenigstens aber die Empathie verloren zu gehen drohen, in der es keine Diskussionen mehr zu geben scheint über Richtig und Falsch, über Humanität oder Inhumanität.

Es gibt ja nichts Gesünderes bzw. Menschlicheres als Menschen, die mit dem Unmenschlichsten, was die Menschheit kennt, dem Krieg, nicht fertig werden können. Fraglos gut ist es für traumatisierte Soldaten, wenn sie wieder ein lebenswertes Leben führen können; noch besser für die Menschheit im Allgemeinen aber wäre es, wenn solche Traumatisierten auch ihre Erfahrungen verarbeiten dürften/könnten, indem sie sie benennen und vielleicht gar öffentlich machen würden, denn vielleicht hat ja ein Trauma, ähnlich wie ein gerechtfertigter Gewissenskonflikt, auch seinen Sinn als Signal für Missverhältnisse und für einen Weg zur Veränderung.

Die Davidson-Methode allerdings, so hilfreich sie für den Emotionshaushalt der Betroffenen zunächst auch sein mag, erinnert ein wenig an orwellsche Lösungen, an Gehirnwäsche, an Amnesie, da wo eigentlich Aufarbeitung, Bewusstmachung und z.B. ein anderes, grundsätzlich pazifistisches Weltbild nötig wären.

Benotung des Films :

Andreas Thomas
Free the Mind
Schweden / Niederlande / Australien / Finnland / Dänemark 2012 - 82 min.
Regie: Phie Ambo - Drehbuch: Phie Ambo - Produktion: Kaarle Aho - Bildgestaltung: Phie Ambo - Montage: Marion Tuor - Musik: Jóhann Jóhannsson - Verleih: mindjazz pictures - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Travis Leanna, Richard Davidson u.a.
Kinostart (D): 28.03.2013

DVD-Starttermin (D): 07.06.2013

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt1673376/