Wir müssen viel warten, bis viele waten müssen. Zwar vertreibt uns ein streitwagenintensives Gemetzel an Hethitern, das gleich nach Beginn erfolgt, ein wenig von der Zeit; doch dann dauert es manch langen Dialog, bis der Film 'Exodus: Götter und Könige' zeigt, was er hat (und das ist dann weitgehend auch schon alles): Menschenmassen beim Waten durch Watsch, Blutwasser, sowie kniehohen Frosch-, Fliegen und Heuschreckenbefall in Panoramen der Plagen, die Ägypten heimsuchen, und später noch mal bei Durchquerung des Roten Meeres durch die im Auszug begriffene hebräische Sklavenkarawane samt Ertränkung der sie verfolgenden Kavallerie. Pompös ist das, zumal in 3D, und voll Gusto am Detail: Das Spektakel weidet uns am Anblick der eitrigen Hautausschläge, die Pharaos Höflinge vom Nilwasser kriegen, oder von Haien, die verspeisen, was der Tsunami übriggelassen hat.
Hier ist alles Materie in Aufruhr, Fleisch in Passion (ohne das sich viel davon auf uns übertrüge), und alles hat seine möglicherweise natürlichen Gründe: Wetterkapriolen etwa oder Wahnvisionen des charismatischen Sklavenaufstandsanführers Moische, bei Hof bekannt als Moses. Er hadert mit einem altklugen Buben, den er – und nur er – immer wieder mal sieht (das erste Mal übrigens, als er nach einem Hangrutsch bis zum Hals unter Geröll verschüttet aus der Ohnmacht erwacht, geradewegs vor einem brennenden Dornbusch). Auf Geheiß des Buben verbreitet Moses Terror unter den Sklavenhaltern; der rachsüchtige Bub will mehr davon.
Die Story darf als unbekannt vorausgesetzt werden.
Zu Beginn der Kinogeschichte zählten Filme – Streifen von fünf, zehn Minuten Länge – nach biblischen Stoffen zu jener Lichtspielware, bei der angenommen werden konnte, dass die Leute die jeweiligen szenischen Handlungen erkennen, zumal aus Büchern und Grafiken wiedererkennen, verstehen und mental zu so etwas wie einer Spielfilmhandlung zusammensetzen würden. 2014 ist das anders, da bleibt bei der ganzen Moses-Chose wohl einiges rätselhaft: so etwa wenn der Held zwei Minuten vor Ende, während seine Landsleute sich eine Einstellung lang mit einer goldglänzenden Rindviehstatue befassen, wieder einmal einen psychotischen Schub hat und irgendwas in Steintafeln griffelt. Diese Tätigkeit scheint einen Kompromiss zwischen ihm und seinem inneren Buben zu bedeuten. Jedenfalls packt Moses die Tafeln dann in eine Bundeslade und fährt im Planwagen weiter nach Kalifornien. Später wird Indiana Jones die Lade finden und vor Nazis retten.
Steht denn da was Wichtiges drin? Ein göttlich großes Wort, ein Testament? Das ist zu vermuten. Wie sonst könnte Regisseur Ridley Scott sonst seinen Film mit einer groß prangenden Inschrift beenden? 'For my brother, Tony Scott' heißt es da leinwandfüllend. Tony war Ridleys jüngerer Bruder, hatte Schreckliches wie 'Top Gun' und Gutes wie 'Déjà vu' oder 'Unstoppable' inszeniert und 2012 Suizid begangen.
Das Gesetz der Brüder ist offenbar Gebot der Stunde. Von wegen Zeitpunktbestimmung: Gegenüber von der Inschrift zum Gedächtnis des Bruders, am anderen Ende des Films, also an dessen Anfang, da steht (nicht ganz so leinwandfüllend) ein Titel, der uns frühgeschichtlich verortet: '1300 Jahre vor unserer Zeit'. Diese Ansage, die das bis vor kurzem gängige 'v.Chr.' durch eine gott(essohn)lose Datierung ersetzt und doch nicht gleich an DDR-Tonfall erinnert, ist programmatisch: 'Exodus' kommt – indem er sich naturwissenschaftliche Begründungshintertüren offenlässt, als wär’s eine 'Universum'-Fernsehdoku – ohne Gott aus. Nicht aber ohne Godfather, denn: Wenn Gottvater und sein Gebot (also, eigentlich seine Gebote, es ist deren circa ein knappes Dutzend) wegfallen, weil der Film mit beidem nichts anzufangen weiß, dann treten an deren Stelle die Brüder und ihr Regime. (Das dann wiederum auf Gott rückwirkt, der hier folgerichtig der bübischste Bub unter all den Buben ist.)
Ungleiche Brüder zumal: Moses als der bevorzugte, adoptierte Sohn des Pharaoh einerseits und anderseits dessen leiblicher Sprössling, der aber eitel und unfähig ist. Pharaoh junior kriegt ein paar Szenen, in denen er im Beraterkreis genervt fläzen, dekadent mümmeln und obszön rumbosseln darf, als wäre er Marlon Brando in 'The Godfather'. Der dekadenten Bande am ägyptischen Hof setzt Moses ein forciert rationales Programm entgegen, das allerdings keines ist: Zu schematisch und lippenbekenntnishaft wirken sein Eingangsvotum für 'Vernunft' und später seine Forderung nach gerechten Löhnen für die Sklaven.
Dort, wo Moses nicht gleich das Ethos der Gesetzesfurcht pauschal durch die Segnungen eines unbeirrbaren Fanatismus ersetzt, tritt er also als Vernunftvordenker und Gewerkschafter an. Ein Anachronismus, sicher. Doch der passt gut zu der Unstimmigkeit, wonach dasjenige, wovon der Filmtitel kündet, also der 'Exodus' (der des hebräischen Volkes aus ägyptischer Knechtschaft) im Film kaum vorkommt; kaum zumal im Vergleich mit den gut fünf Minuten, die der jubilierende Aufbruch der Sklavenmassen, samt Vieh und Hausrat, aus ihrem unfreien Domizil in der bis heute kanonischen Verfilmung des Moses-Stoffes dauert, in Cecil B. DeMilles (zweiter Version von) 'Die zehn Gebote', 1956 ein großer Kassenerfolg (aber nur in wenigen Momenten ein großer Film). Ridley Scotts Film heißt 'Exodus', aber er zeigt ihn nicht (sondern springt fast übergangslos von den Auswirkungen der letzten der großen Plagen zu der Verfolgungsjagd zwischen Hebräern und Ägyptern im Gebirge und am Roten Meer).
Der Titel hängt also ein wenig in der Luft. Umso mehr ruft er in Erinnerung, dass es schon einmal einen Hollywood-Film gab, der 'Exodus' hieß und eine historische Staatsmachts- und Befreiungsgeschichte im Nahen Osten erzählte: Otto Premingers 'Exodus' von 1960, u.a. mit Paul Newman, eine monumentale Kinoerzählung von der Gründung des Staates Israel in den Jahren 1945-1948 im Kampf erst gegen die britische Kolonialmacht, dann gegen arabische Nachbarn. Im Zusammenhang mit solchen Nach- oder Beiklängen sind wohl die eigentümlichen Aktualisierungen zu lesen, die Scotts 'Exodus' vornimmt: Das reicht von Anspielungen auf den Nazi-Massenmord am jüdischen Volk – die sich aufdrängen, wenn am Rand des Zwangsarbeitslagers Stapel von ausgezehrten Sklavenleichen verbrannt werden, oder wenn Ben Kingsley hier dem echten Moses, nicht nur einem als solchen angesprochenen metaphorischen namens Schindler, ins Gewissen redet – bis zur Frage des Rückkehrrechts für die Hebräer in ihre alte Heimat Kanaan (und ob das überhaupt dafür steht und nicht ein Leben im Exil-Lager zu bevorzugen wäre), sowie zur Terrorstrategie mit Anschlägen auf die Wohlstandsinfrastruktur und das Sicherheitsgefühl der ägyptischen Bevölkerung, die Moses seiner Guerillatruppe zwecks Angriff auf den haushoch überlegenen gegnerischen Staats- und Militärapparat befiehlt. Mit letzterem vollzieht sich zum Teil eine Art Platztausch im Verhältnis zu den Rollen von Palästinensern und Israelis – sowohl was Vertreibungsgeschichte betrifft als auch in Hinblick auf den jüngsten Gazakrieg und dessen asymmetrische Kriegsführung. Von den antizionistischen Begleitäußerungen dieses Krieges weht der Schmähruf 'Kindermörder!' in den 'Exodus' herüber; das Wort rufen aufgebrachte Ägypter, deren Erstgeborene nachts zu Tode gekommen sind, den davon verschont geblieben Hebräern zu.
In 'Exodus' ist also einiges verschoben, versetzt, verworren, auch verschnitten (sprich: unrhythmisch montiert). Dabei könnte alles so klar und eindeutig sein. Ridley Scott könnte einfach, so wie Cecil B. DeMille mit seinen vorausgeschickten Erklärungen westlicher Freiheiten bei seiner 1956er Version von 'Die zehn Gebote', zu Filmbeginn vor uns hintreten und verkünden: 'Das ist ein besonderer Film. Ich habe nun, nach ‚Robin Hood‘, den ‚Gladiator‘-Stoff zum dritten Mal verfilmt, wieder mit reichlich Digitaltotalen, Jaulchören, schwülstigem Orientalismus und Homophobie gegen effeminierte Männer. Die betreffende Joaquin Phoenix- bzw. Oscar Isaac-Rolle des unwürdigen Thronanwärters spielt diesmal Joel Edgerton – ungut, weil mit viel Kajal. Russell Crowe hatte von ‚Noah‘ noch genug, darum macht diesmal Christian Bale den bodenverbundenen Bartbär. (Mit Gewalthandeln ohne Gesetz und Gebot hat er ja schon aus den Batman-Filmen Erfahrung.) Die einzigen dunkelhäutigen DarstellerInnen, die vorkommen, spielen unsympathische Kleinstrollen. Die meisten Szenen mit Sigourney Weaver – einst Godmother aller Actionheldinnen in meinem besten Film (‚Alien‘) – hab ich rausgekürzt. Lang wird das jetzt trotzdem.'