Der Blick durch den Spalt einer Kabinentür zeigt uns eine gefangene Hauptfigur. Er wolle bis zum Schluss sein „eigener Herr“ bleiben, monologisiert der 34-jährige Louis (Gaspar Ulliel) aus dem Off. „Irgendwo, vor einiger Zeit“, so die unbestimmten, aber verallgemeinerbaren Orts- und Zeitangaben zu Beginn des Films, sitzt der bekannte Schriftsteller in einem Flugzeug auf dem Weg nach Hause. Zwölf Jahre sind vergangen, seitdem er als homosexueller junger Mann aufgebrochen ist und seine Familie nicht gesehen hat. Jetzt kehrt der schweigsame Louis zurück, um seinen bevorstehenden Tod anzukündigen. Mehr erfährt man nicht über ihn, während auf der Fahrt in einem Taxi alltägliche, leicht melancholisch grundierte Straßenszenen an ihm vorbeiziehen. „Home is where it hurts“, heißt es dazu im Song der Titelsequenz. Und wir ahnen die kommenden Konflikte.
Doch diese sind merkwürdig abwesend in Xavier Dolans neuem, preisgekröntem Film „Einfach das Ende der Welt“ (Just la fin du monde), der auf einem Theaterstück des vielgespielten französischen Autors Jean-Luc Lagarce basiert. Zwar herrscht von Anfang an ein Klima angespannter Verunsicherung und offener Aggressivität, doch die inhaltlichen Gründe des dramatischen emotionalen Aufruhrs bleiben im Dunkeln. Die Sprache ist in Dolans von sprechenden Köpfen dominiertem Kammerspiel nicht mehr ein Medium, um Konflikte zu erforschen und zu lösen, sondern artifizieller Ausdruck von Erregungszuständen. Man darf vermuten, dass sich hinter diesen bloßen Symptomen der Sprachlosigkeit eine Leere erstreckt, die aus der langen Abwesenheit des Heimkehrers und einer damit verbundenen Entfremdung resultiert. Doch jenseits ihrer sprachlichen Präsenz bleibt die Zeichnung der Figuren Blass und unbestimmt.
So wird viel und laut gestritten in den über einen Sommertag verteilten Zusammenkünften der Familienmitglieder, aber auch in den einzelnen Gesprächen, die Louis mit seiner jüngeren Schwester Suzanne (Léa Seydoux), seinem zornigen älteren Bruder Antoine (Vincent Cassel) und der Mutter Martine (Nathalie Baye) führt; wobei der Held meistens schweigt oder in seinen aufbrechenden Bemühungen um Kommunikation vorschnell gestoppt wird. „Ich verstehe dich nicht, aber ich liebe dich“, sagt seine Mutter zu ihm. So ähnlich geht es auch dem Zuschauer mit diesem spröden, fast abstrakten Film, der einen kaum erreicht und der es einem schwer macht, ihn zu mögen. Nur Catherine (Marion Cotillard), die Schwägerin des Protagonisten, scheint Louis auf geheime Weise zu verstehen. Ziemlich früh inszeniert Xavier Dolan in einer langen, schwebenden Sequenz gedehnter Augenblicke und verstohlener Blickkontakte die ganze (filmische) Magie dieses unausgesprochenen Vertrauens zwischen ihnen.