Ein beengter Raum im Museum, unwohnlich blasses Blau-Grau-Braun bestimmt die Farbpalette. Hohe Schaukästen mit präparierten Vogelarten unterteilen das Bild, während aus dem Nebenzimmer der Kopf eines Saurierskeletts in den Türrahmen ragt. Zwei Besucher, Mann und Frau, betrachten die verglasten Naturinszenierungen und erscheinen dabei mit ihren aschfahlen Gesichtern kaum lebendiger als die ausgestopften Knopfaugenträger. Fast biegt sich die Decke unter der Tonnenlast der Existenz und wie meistens ist das auch hier ziemlich komisch.
Roy Andersson ist ein langsamer Filmemacher. „Eine Taube sitzt auf einem Zweig…“ ist lediglich der dritte Spielfilm des 71-jährigen Schweden in den vergangenen vierzehn Jahren und hat ihm nun diesen Sommer in Venedig den Goldenen Löwen beschert. Der ausgesprochen sparsame Output geht auch bei Andersson mit einer bedächtigen Schärfung, man könnte fast sagen: Verhärtung der filmischen Handschrift einher. Insofern war kaum zu erwarten gewesen, dass er von seinem sehr markanten, mit „Songs from the Second Floor“ (2000) und „Das jüngste Gewitter“ (2007) etablierten Stil noch einmal abweichen würde. Es kam auch nicht so. Der neue Film entfaltete sich wieder als ein Kaleidoskop der mit fixierter Kamera streng kadrierten Vignetten. Wie unerwartet ins Leben gerufene Museumspräparate schleppen sich Anderssons zahlreiche Figuren durch diese bitterkomischen Dioramen über die Vergeblichkeit des Seins. Ihr plötzliches Auftauchen in anderen, oft ganz entlegenen Szenerien verknüpft zart, was kein übergeordneter Plot zusammenhält. Vor allem zwei weitgehend erfolglos umherreisende Scherzartikelhändler, die unermüdlich die falschen Vampirzähne in die hängenden Mundwinkel schieben, markieren eine Art fahrendes Zentrum des Films. Einmal werden sie in einer Kneipe unvermittelt vom schwedischen König Karl XII. überrascht, der vor dem Zusammentreffen mit den russischen Truppen noch ein Glas Wasser trinken möchte, während seine Armee vor den Fenstern der Wirtschaft minutenlang vorbeizieht.
Es sind vor allem die Rückwände von Anderssons Schaukästen, die derlei raumzeitliche Offenheit behaupten wollen. Ähnlich der bemalten Hintergründe der Dioramen lassen sie die Bildausschnitte tief erscheinen und stellen das skurrile Geschehen im Vordergrund in Zusammenhänge, die über das Hier und Jetzt hinausweisen. Staunenswert schön ist das, wenn sich dort Landschaften brueghelscher Dimensionen auftun oder ein Straßenzug dem Anschein nach in die Bildwelt der Neuen Sachlichkeit einsteigen lässt. Der von Andersson eingeräumte Einfluss Otto Dix’ setzt sich indes auf den vorderen Bildebenen fort, wo die langgezogenen Kreidegesichter auf Körpern sitzen, die sich unter lähmend festgezurrter Kleidung wölben. Immer wieder sprechen sie denselben Satz in meist altmodische Telefone: „Es freut mich zu hören, dass es dir gut geht.“ Dabei fallen sie in Wirklichkeit doch – wie in einer Szene zu Beginn – schon beim teuflisch anstrengenden Öffnen einer Weinflasche tot um.
Oft genug geht diese Verstrickung finsterer Beckett’scher Absurdität und liebenswert-skandinavischer Skurrilität auf. Man lacht und ist ein bisschen traurig. Häufig aber steht dem Film der Morast der eigenen alteuropäischen Kunstbeflissenheit auch bis zu den Knien. Die Einsicht in die generelle Aussichtslosigkeit allen Tuns führt auch hier zur Zuflucht im Schönen, Sortierten und Kunstfertigen. Anderssons Filmen ist eines, das keine Sorgen mehr kennt – außer dem Weltuntergang. Das bringt unweigerlich einen gewissen Verwesungsgeruch mit sich, weil alles hier schon einmal gestorben, schon so tot und gut abgehangen erscheint. Gegen Ende gibt es ein paar Szenen von großer, aber sublimierter Grausamkeit: Einem festgeschnallten Affen werden in einem Versuchslabor Stromstöße durchs offenliegende Hirn gejagt. Er schreit dabei sehr effektvoll. Kolonialherren treiben Sklaven in eine gigantische Stahltrommel, die sich unter deren panischen Fluchtversuchen zu drehen beginnt, als man ein Feuer an ihrem Boden entzündet. Sie spielt jetzt Musik. Der Horror wird dort erträglich (weil lächerlich), wo man ihn – ins künstlerisch Groteske verzerrt – noch überbietet. Die gleichmütige Ruhe, die sich nach diesen Szenen wieder einstellt, ist eigentlich eine gleichgültige Grabesstille. Das mag man vielleicht bewundern; es zu mögen fällt aber schwer.