Scherz, Satire und tiefere Bedeutung. Oder auch: Rip it up … and start again! Die aus Polen stammende Visagistin, die zwischenzeitlich auch einmal in London-Heathrow als Bodenpersonal und in Wien als Stripperin arbeitete, erklärt, dass marxistische Theorien »nach der Wende« lange Jahre obsolet waren. Jetzt aber könnte die ausgebildete Polit-Ökonomin vielleicht wieder auf ihr altes Wissen zurückkommen, aber … Hallo? Noch jemand interessiert? Mögen alte Antworten auch kaum noch gefragt, die Probleme merkwürdig bekannt sein – auf diese Diskrepanz antwortet die Filmemacherin Tatjana Turanskyj mit einer anderen, ästhetischen Diskrepanz: sie erinnert sich an freie, essayistische Formen, wie sie zur Hochzeit des feministischen Films hierzulande erprobt wurden.
Worum geht es? Die Architektin Greta, eine Frau um die Vierzig, hat ihren Arbeitsplatz verloren, als ihr Büro in Konkurs ging. Noch ein paar ältere Honorare stehen aus, doch über Geld und Existenzängste wird im sozialen Umfeld, in dem sich Greta bewegt, nicht gerne geredet. Zudem ist Greta geschieden, ihrem pubertierenden Sohn Lukas gefällt der strategische Einsatz des Wortes „Loser“ (wo auch immer er es aufgeschnappt hat). Aus ihrer Welt und den dort herrschenden Redeverboten gefallen, pendelt Greta in der Folge zwischen Job-Center, Call-Center und gerne auch mal der Flasche Wodka. In mehrfacher Hinsicht sind die Ansprüche Gretas nicht mehr »vermittelbar«: der Film bietet hierzu das Stichwort der „konservativen Emanzipation“ an – und zeigt polemisch Bilder von »erfolgreichen« Ehefrauen, die sich auf Reproduktion spezialisiert haben, „ökologisch korrekt“ handeln und sich schon mal in Town-Houses und Privatstraßen zurückziehen.
Für Greta, trotz ihrer wachsenden Verzweiflung ein kritischer Geist, stehen derlei Sicherheitspsychosen deutlich in Widerspruch zu ihrem Verständnis von Autonomie und Würde. Aber ihr Sarkasmus steht der gesellschaftlich gewünschten »Geschmeidigkeit« im Wege: Nicht nur, dass keiner der alten Freunde und Kollegen von ihrer Arbeit im Call-Center etwas hören will! Auch die dortige Leiterin staunt nicht schlecht, als sie erfährt, dass ihr künftiges Team-Mitglied Greta irgendwie doch etwas überqualifiziert scheint und verspricht am Schluss des Beschäftigungsverhältnisses mit großer Geste, dass sie Greta trotz ihres Versagens im „Agent-Pool“ führen werde: als potentielle Arbeitskraft. Und auch im Job-Center ist man not amused, als Greta auf die Frage, was sie denn wirklich gut könne, antwortet: „Trinken!“
Inspiriert von Richard Sennetts Studie „Der flexible Mensch“ (1998) sammelt Turanskyj Impressionen zur Lage der Frau im spätesten Kapitalismus: mal witzig, mal satirisch, mal polemisch, mal böse, mal ratlos, selten einmal theatralisch kalauernd. Schnell zeigt sich: Flexibilität ist eine individuelle Tugend; nur gefeiert wird noch gemeinsam. Gretas Restbestände an architektonischen Visionen und Utopien sind nicht nur schnell aufgezehrt, sondern werden am Markt auch nicht mehr nachgefragt: es sind Konterbande aus einer anderen Zeit. Die großen Visionen taugen nur noch fürs Call-Center, wo es heißt: „Jedes Telefonat ist ein rhetorisches Meisterwerk!“ Meisterwerke allerdings, für die nur 7 € pro Stunde bezahlt werden, Provision nicht inklusive! „Prekariat“, „Gentrifizierung“, „konservative Emanzipation“ – hellsichtig verweigert Turjanskyj bei ihrer zeitdiagnostischen Passage durch aktuelle Diskurse die konventionelle Erzählung, sondern sie wählt die Offenheit des Essays, die heutzutage mit ihren Distanzierungsstrategien (die Figur Greta lädt kaum einmal zur Identifikation ein, bleibt über die gesamte Filmlänge unbequem und anstrengend) gar nicht altmodisch, sondern eher innovativ erscheint, weil sich die Fernsehspieldramaturgie längst als Marktführer etabliert hat. Insofern funktionieren auch die weniger überzeugenden, weil zugespitzt artifiziellen Szenen wie die Party oder die Landpartie im Rahmen der „flexiblen Frau“ durchaus (nur eben nicht so gut wie die Szene im Job-Center, als die Mitarbeiterin »gesteht«, dass sie sich auch einen sinnvolleren Job wünsche und zudem ihre esoterische Ader eingesteht).
Passend zur alten Form des brechtschen Filmemachens zitiert Turanskyj in ihrem Film allerlei Filme, die vielleicht als Vor-Bilder gedient haben mögen: „Die flexible Frau“, das ist (auch) Anita G. aus Kluges „Abschied von gestern“, ihre Probleme erinnern deutlich an die Probleme der Protagonistin Edda aus Helke Sanders‘ „REDUPERS – Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“, die auch darum kämpfte, Mutterrolle und Karriere produktiv zu kombinieren. Und die rauschhafte Erfahrung des Aus-der-Rolle-und-aus-der-Gesellschaft-Fallens, die hat man seit Ulrike Ottingers „Bildnis einer Trinkerin“ nicht mehr so schmerzhaft (schmerzhaft beglückend) gesehen. Man muss die „flexible Frau“ nicht gleich für ein Meisterwerk halten, man muss den Film auch nicht (wie andernorts geschehen) gegen die Filme der „Berliner Schule“ ausspielen, aber man kann festhalten, dass der Film zu den interessantesten Versuchen der letzten Jahre gehört, sich den sozialen Entwicklungen der Gegenwart (auch) mit Gedanken zu nähern, die sich aus dem Arsenal bereits geleisteter Reflexionen speisen. Halten wir es doch mit der aus Polen stammenden Visagistin und träumen von Stripperinnen, die einmal Politökonomie studiert haben und sich an Marx‘ Analysen noch erinnern können. Das ist doch schon mal was!