Schon Notker I. von St. Gallen soll es gewusst haben: „Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen.“ Recht eigentlich ein Skandal. Als die Endzwanzigerin Sasha auf dem Nachhauseweg von ihrer Arbeit im Künstlerhaus Bethanien im Park plötzlich umfällt und kurz darauf stirbt, ist das (auch) ein Schock für den Zuschauer, denn Regisseur Mikhael Hers hatte zuvor alles ganz unspektakulär, aber konzentriert gezeigt: ihr Aufwachen, ihr Ankleiden, ihre Arbeit, ihre Alltagsroutine. Nun ist die in Berlin lebende Französin tot – und der Film hat die vermeintliche Protagonistin verstörend früh verloren. Der Zuschauer ist gewissermaßen zu spät gekommen, um sie noch kennenzulernen, und er erfährt auch nicht, was genau geschehen ist. Sashas Familie – Vater, Mutter, Schwester Zoé – reist zur Erledigung der Formalitäten und der Beisetzung an. Fassungslos ist auch Sashas Freund Lawrence, ein – wie wir später erfahren werden – Schriftsteller, den es auch New York nach Berlin verschlagen hat.
Sashas Tod als Auftakt: der Film beobachtet, registriert, aber hält sich entschieden zurück, wovon er erzählen möchte und kann, auch weil das Ensemble von Figuren auf unterschiedliche Weise davon betroffen ist. Es gibt keine Rückblenden, die die Geschichte von Sasha und Lawrence rekapitulieren, (mit einer Ausnahme) keine Erinnerungen an das Vor-Leben, sondern nur die Gegenwart des Weiterlebens. In dieser Gegenwart trifft sich Lawrence mit June, einer Freundin aus New York. Man spricht miteinander und verbringt einige Tage zusammen. Ein Jahr später – es ist wieder Sommer – besucht Lawrence Zoé in Paris, die auch Mutter eines Sohnes ist. Deren Leben hat sich allerdings mittlerweile verändert: sie lebt getrennt von ihrem Mann und arbeitet nachts in einem kleinen Hotel. Gemeinsam besuchen Zoé und Lawrence eine Party, vermeiden oder versäumen aber, über ihre Trauer zu sprechen. So forciert der Film darauf besteht, dass sich »das Leben« gewiss nicht einer Dramaturgie von Plot Points fügt und Figuren nicht in Problembenennungs- und –bewältigungsdialogen miteinander sprechen, so arbeitet Hers doch subtil mit Verdichtungen, weil er der Versuchung nicht widerstanden hat, über die Protagonisten und ihre Begegnungen auch etwas von der Atmosphäre eines Lebensgefühls und unterschiedlichen Mentalitäten einzufangen. Dazu gehört auch der zumeist etwas mehr als nur skizzenhafte Einbezug von Neben- und Randfiguren, die weitere Geschichten andeuten oder auch erst ermöglichen. Oder auch der sehr spezifische Einsatz von extrem geschmackvoll kompilierter Musik.
Ein Besuch im Elternhaus in Annecy zeigt Zoé, wie ihre Eltern mit dem Verlust des Kindes umgehen. Ein weiteres Jahr vergeht. Mittlerweile ist Lawrence nach Brooklyn zurückgezogen und hat neue Bekanntschaften gemacht. Diesmal ist es Zoé, die auf dem Weg nach Tennessee einen Zwischenstopp eingelegt. Sie hat sich von ihrem Mann endgültig getrennt und hat sich eines alten Studienfreundes erinnert, den sie jetzt besuchen will. Auch Lawrence, noch immer trauernd, steht gerade im Begriff, sich neu zu verlieben. Man feiert Parties, besucht Konzerte, redet und lebt weiter. Mit seiner erfrischend wortkargen Studie über Trauerarbeit, die geradezu programmatisch sämtliche Konventionen einer Fernsehspieldramaturgie verweigert, versucht Mikhael Hers zugleich ein Soziogramm und ein Psychogramm einer Generation von Kreativen um die 30, die sich mit einiger Souveränität kosmopolitisch zwischen den hippen Orten der nördlichen Hemisphäre bewegt und bewegen kann, weil sich die Kulturen sehr weitgehend angeglichen haben. Wobei das Bild von Berlin aufgrund der gewählten Perspektive auf das Geschehen notwendig etwas unscharf bleiben muss.
Mit seinem interessanten Cast – Anders Danielsen Lie einmal mehr als sensibler Schriftsteller wie zuletzt schon in „Alice und das Meer“ und die Rohmer-Actrice Marie Rivière als Sashas Mutter – besetzt Hers sehr konsequent ein Feld zwischen Joachim Trier und Eric Rohmer. Auch Lana Cooper („Love Steaks“) als Lawrences Freundin June fügt sich bestens in dieses bunte Ensemble. So bleibt den Zuschauern dieses auf stille Weise intensiven und betont offenen Films sehr viel Zeit, die Figuren zu beobachten, sich in die Milieus und Interieurs zu vertiefen und sich von der zelebrierten und wie der Film selbst seltsam zwischen den Jahrzehnten irrlichternden Musik von Felt (!), Ben Watt (!!) oder auch Nick Garrie (!!!) zu verlieren. Jonathan Richman, eigentlich naheliegend, hätte hier nicht gepasst.
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