Rückblicke auf Zeitalter, in denen Kommunenleben noch denkbar war, wirken heute zumeist merkwürdig idealisiert oder werden, von konservativer Seite her, belächelt und verteufelt zugleich. Selbst in studentischen Wohngemeinschaften lassen sich die letzten Spuren alternativer Gemeinsamkeitsutopien kaum mehr finden, denn die politischen Botenstoffe haben sich längst verflüchtigt – und im Zeitalter des Bachelor-Studiums und im alles umarmenden Okay-ismus haben sich diese als reine Zweckgemeinschaften etabliert. Dass aber gelebte Kommune-Utopien tatsächlich alles andere als friedlich und idyllisch ausfallen konnten, zeigt Marie Kreutzers ambitionierter Debut-Spielfilm, der, angelegt als Familiendrama auf einem Hof am Waldrand, weitreichende Beschädigungen von Biographien offenbart – und sich dabei leider in seinen Plotwirren, die ein „dunkles Geheimnis“ ans Tageslicht zerren, verirrt.
Um Abschied zu nehmen, ruft der Vater und ehemalige Kommunarde auf dem Sterbebett seine Kinder zu sich in das alte Bauernhaus in der Steiermark. Doch beinah alle kommen zu spät. Hans, der Oberhäuptling der Kommune, hat sich davongemacht. Nun treffen also die Geschwister aufeinander, die, die über das ganze Land verstreut leben und wenig miteinander zu tun haben. Für die Figuren ist das Wiedersehen am Totenbett des gar nicht so sanften Patriarchen eine emotionale Herausforderung, und diese wird dadurch noch verstärkt, dass sie mit den verdrängten Kapiteln der eigenen Biographie konfrontiert werden. Da ist etwa die Schwester, deren neurologische Störung zwar für alle deutlich sichtbar ist, die aber mysteriöserweise totgeschwiegen wird. Da ist der Arzt mit dem Sportwagen, der eigentlich nur aus Pflichterfüllung gekommen und gedanklich eigentlich schon wieder weg ist. Oder der orientierungslose Bruder, der das Herz etwas zu sehr auf der Zunge trägt, und für den der Tod des Vaters erstmals eine Befreiung aus der Rolle des Sohnes bedeutet. Auch die eine Halbschwester, die man ganz aus dem Familienkosmos hinausgedacht hatte, kehrt zurück. Und da ist natürlich die Mutter, die Hüterin des Gemüsebeetes und der Erinnerungen. Erinnerungen an die Zeit mit Vater und an die Kommune, ihren euphorischen Beginn und die zunehmende Desillusionierung im Laufe der Jahre. Das kollektive Gedächtnis, das sich bedeckt hält und sich nach entsprechenden Verwundungen, die sexuelle Freizügigkeiten mit sich bringen können, einen emotionalen Panzer zugelegt hat.
So ist „Die Vaterlosen“ auch ein Film über Nähe und Distanz, Bindung und Beziehung, über Trennung und das Abschied nehmen. Der Film beginnt ausgesprochen stark: in herausfordernder Montage werden in den ersten Szenen Handlungsfragmente kombiniert, die ein Verständnis von Kino transportieren und die dem Zuschauer eine intensive Mitarbeit bei der filmischen Narration versprechen. Und es sind die kleinen Gesten, die Blicke, ein kurzes Wegschauen oder körperliche Nähe, die gestattet wird, die auf subtile Weise überzeugend von den emotionalen Dispositionen der Charaktere zeugen, ohne dass diese ausgesprochen werden müssten. Doch nicht jede Rolle dieses Ensemblefilms ist gleich stark besetzt, und so manche Dialogzeile klingt ein wenig hölzern. Die Bilder der Rückblicke sind allzu plakativ geraten: sie gleichen vergilbten Erinnerungsfetzen, ganz so, als wären die Polaroids zu lange in der Sonne gelegen und dann auf dem Dachboden verstaubt. Hier geht die Kamera nah ran, um die Nähe zum Menschen zu suchen und arbeitet mit Unschärfen und Farbfiltern, die Ausdruck einer konventionellen Bildästhetik sind. Derart lösen sich die positiven Ansätze des Films leider recht bald auf, zudem erklärende Passagen verstärkt nachgeschoben und Geheimnisse zunehmend enthüllt werden.
Der Film entwirft ein Mosaik aus fragmentierten Biographien, die sich am Ende zu einem Gesamtbild zusammenfügen sollen, zu einem plastischen Familienkosmos. Doch in den zunehmend sich überschlagenden Plotvolten, in den Krimistrukturen der detektivischen Enthüllungsarbeit und im sich permanent verschiebenden emotionalen Gefüge der Gruppe, das auch noch die Lebenspartner und deren Beziehungsprobleme einbezieht, verfranst sich der Film in seiner tendenziell sensationalistischen Ausrichtung auf den großen Knall hin. Bedauernswert ist es, dass die Regisseurin der Kraft ihres stillen Dramas nicht vertraut und den Film mit zunehmender Laufzeit seiner Magie beraubt, indem alles Unausgesprochene angesprochen und jedes Geheimnis gelüftet wird.