Der Eisenbahnzug und das Todeslager: Diese (Bild-)Orte sind im medienkulturellen Darstellungsinventar der Nazi-Massenmorde vertraut und nahezu ikonisch geworden; das Autobiografie-basierte britisch-australische Drama 'The Railway Man – Die Liebe seines Lebens' speist sie nun ein in ein Motivpanorama rund um nachlastende Opfererfahrungen auf dem anderen, dem pazifischen Großschauplatz, des langen Zweiten Weltkriegs – der dieser Tage vor genau siebzig Jahren eben nur in Europa zu Ende war.
(Kleine Anmerkung: In diesen Jahren des Abschieds von den letzten ZeitzeugInnen des Zweiten Weltkriegs und der in dieser Zeit begangenen Massenverbrechen scheint es, als würde das Kino sich dem Holocaust der Nazis, zumindest an dessen Rändern, nun immer öfter humoristisch annähern: Das geschieht in verschiedenen Formaten und Genres, von 'Mein Führer' und Mein bester Feind' bis zur Einarbeitung von Beraubung und Ermordung jüdischer Bevölkerungen in den Klamottentonfall von Monuments Men', manchmal – siehe 'Inglourious Basterds' – auch in sinnvoller Weise. Dagegen scheint der Geschichtsort 'japanisches Todeslager im Zweiten Weltkrieg', zumal wenn seine Inszenierung sich Bildbestände mit der Medialisierung des Holocaust teilt, noch einem genuinen 'Traumakino' der schmerzlichen und gedämpften Stimmungen vorbehalten zu sein; Ausnahmen wie Jerry Lewis im Kistenkäfig eines japanischen Gefangenenlagers in 'Dont Give Up the Ship' von 1959 bestätigen die Regel.)
In 'The Railway Man' gerät ein Engländer als junger Soldat (gespielt von Jeremy Irvine) nach der britischen Kapitulation in Singapur 1942 in japanische Gefangenschaft. In einem Lager in Thailand, in dem die Japaner westliche (und, als bloße Statisterie, asiatische) Zwangsarbeiter beim Bau einer Bahnlinie – der Burma railroad – durch Dschungel und Fels zu Tode schinden, bastelt er heimlich ein Radio. Diese verbotene (zum Spenden von Trost durch BBC-Nachrichten von der sich bessernden Kriegslage gedachte) Tat fliegt auf; es folgen Prügelstrafen, Geheimpolizeiverhör und schier endlose, immer brutalere Folter. Von dieser Erfahrung ist der Mann noch als Mittfünfziger (dargestellt von Colin Firth) traumatisier; quälende Erinnerungsflashes, die in seinen Alltag eindringen und sein Bewusstsein zeitweise verwirren, überspielt er mit stiff upper lip und mit obsessivem Festhalten an seiner lebenslangen Begeisterung (siehe den unnedichen Titelzusatz 'Die Liebe seines Lebens') für Züge und Zugfahrpläne.
Jonathan Teplitzkys Regie springt ambitioniert, mal berührend, aber oft auch zu selbst- und effektbewusst, zwischen Thailand circa 1944/45 und England 1980 hin und her: Montageketten, Sound-Assoziationen, Bi-Lokationen (etwa wenn japanische Unifomierte den Mann aus dem Bett eines schottischen Strandhotels zurück in die Folterkammer zerren), Reenactments mit plakativen Analogien – zumal vom Folter-Verhör zu der Wiederbegegnung des Engländers mit dem Polizeidolmetscher von damals, der seinerseits, als Täter, traumatisiert ist. Nicole Kidman als Krankenschwester, die den alternden Bahnnerd (fast ein trainspotter) heiratet und heilen will, mahnt zur Katharsis: Ein code of silence muss gebrochen werden. Männer müssen weinen können. Als am Ende das Opfer und der reuige Täter einander am Ort des Leidens umarmen, weint sie in Großaufnahme mit.
'The Railway Man' ist meilenweit entfernt von der Kritik maskulinistischer und autoritärer Selbstentwürfe und Handlungsorientierungen in dem sich unvermeidlich zum Vergleich aufdrängenden, zum Teil themen- und schauplatzverwandten Klassiker 'The Bridge on the River Kwai' (1957); aber – zum Glück – auch von den homophoben, ins Rassistische lappenden Lagerfolterpornopassionsspielen im rezenten Pazifik-Durchhaltedrama 'Unbroken'. Der Vergleich mit letzterem, von Angelina Jolie 2014 inszenierten Film ist aufschlussreich: Forcierte 'Unbroken', seinem Titel entsprechend, Bilder des Ertragens von Zwangsarbeitslagergräuel und Folter, die sich zu ungutem identitärem Selbstbehauptungspathos auftürmten – hetero-männlich der Anmache durch den Oberfolterer widerstehend, westlich-liberal dem ureigenen 'Können' vertrauend, christlich ein Stahlbalkenkreuz tragend –, so beschwört der schon 2013 gedrehte 'Railway Man' ein Ethos des 'Zulassens'. Zugelassen wird etwa, im Detail, die Analogie zwischen dem als schier unzeigbar hinausgezögerten Anblick der japanischen Folterung des zarten, bebrillten Engländers durch simuliertes Ertrinken einerseits und dem zur Ikone einer obszönen, inhumanen War-on-Terror-Verhörspragmatik gewordenen Waterboarding anderseits. (Es wird also quasi diffuse Kritik an westlicher Geopolitik und Moral zugelassen.) Und im Generellen geht es ums Zulassen von Vergebung, die auf tätige Reue antwortet, und damit ist eine Art von 'kunstvoll' gebrochener (keineswegs unbroken) Männlichkeit in den Raum gestellt, die Firths Figur einmal im Zeichen der Möglichkeit anspricht, den endlos andauernden Kriegszustand doch endlich zu beenden, die immer noch anziehfertig im Kasten hängende Uniform wegzulegen und quasi den Übergang zuzulassen von der (heute nur noch als Zitat oder krasse Pose praktizierbaren) Opfer-Rolle des nationalen sacrifice zu jener des victim.
Allerdings: Wäre es dem Film mit diesem Vorhaben – so abgeschmackt dieses Akzeptanz-Ethos dann auch ausfiele – ernst, dann müsste er auf die Tätigkeit des (nach 1945 strafrechtlich unbehelligt gebliebenen) Ex-Dolmetschers und insofern Verhör-Folter-Helfers viel interessierter eingehen, dürfte es nicht bei Andeutungen bewenden lassen – aus denen hervorgeht, dass der Japaner am Ort des einstigen Arbeitslagers ein der Lager-Geheimpolizei gewidmetes kleines Museum betreibt; davon kommt vor allem eine Wand mit Täterporträtfotos markant ins Bild, und während die Engländer zunächst unterstellen, dass der Folterer nun sogar noch am Fremdenverkehr Geld mit seinen früheren Untaten verdiene, macht der Japaner geltend, wie sehr auch er an den Erinnerungen leidet und dass er die Reisen zur Arbeit als guide in Thailand als Pilgerfahrten versteht. Das auszuloten wäre spannend gewesen; sintemal die betreffenden Szenen von der Wiederbegegnung in Thailand vor Ort in Kanchanaburi gedreht sind, wo (am Ort der Brücke am Kwai) sowohl ein großes memorial-didaktisches Freiluftmuseum als auch diverse kleine, grotesk bestückte und schamlos exploitative Museen den zahlreichen internationalen Reisenden Auswirkungen japanischer Militärgewalt aus den Besatzungsjahren vermitteln.
Aber das lässt 'The Railway Man' dann eben doch nicht zu; und auch der hommes fragiles-Habitus hat da seine Grenzen. Wenn die von Stellan Skarsgard gespielte Figur des alten Lagerkameraden und einzigen Kumpels des Traumatisierten ominös andeutet, dass das unbewältigt verschwiegene Trauma der damals zu Opfern Gewordenen diese nun nachhaltig ihrer Liebesfähigkeit beraubt – dann tritt an dem Bemühen der Kidman-Figur um Rückgewinnung ihres zu später Hochzeit erblühten Mannes zum einen ein Projekt der Remaskulinisierung hervor: Wer zulässt und bewältigt, kommt am Ende auch mit Nicole Kidman im Bett 'zum Zug' – Vergebung als Viagra der Seligen. Zum anderen fügt sich diese Umformulierung von Geschichtsaufarbeitung zur Universaltraumadiagnose und weiter zur Therapie (das beginnt schon in der Lager-Plot-Episode, die betont, wie sehr das selbstgebastelte Radio den Gefangenen zur Seelenmassage, nicht zur Konspiration oder Planung dient) in das unverkennbare generelle Anliegen des Films, nämlich Sinnkapital aus der rollenbiografischen Erinnerung an Colin Firths King’s Speech'-Welterfolg zu schlagen: Wo Schweigen und Sprachlosigkeit war, muss Aussprache und Rauslassen werden. Und so zeigt sich als das eigentliche Trauma in 'The Railway Man' die Vorstellung des unaussprechlichen Leidens an einem langweiligen britischen Alltagsleben, damals, 1980 (interessanterweise fast aufs Jahr genau bevor der Thatcherismus begann, britisches Leben auf Neoliberal und Lustig umzustellen) – zwischen spießigen Zugabteilfensterausblicken, kalten Stränden, grauen Gesichtern und gedämpften Altherrenclubs, alles oft in rechtwinkliger Frontalität ins Bild gebracht, als wä’s ein Indie-Film-Klischee für pittoreske Kleinstadtlangeweile.
Freilich, die Australierin Kidman ist noch nicht ganz der australische Aussprache-Trainer, der dem als König fürs Weltkriegs-Selbstopfer zum Wohl der Nation (und zum Ertragen von allerlei folterartigen Übungen) bereiten Colin Firth das Raus- und Zulassen beibringt; wir sind noch einen Schritt entfernt von der filmischen Feierstunde zur Erfindung der Segnungen einer heute herrschenden Coachingkultur inmitten trost- und coachloser Zeiten von einst. Der coach ist hier noch der Eisenbahnwagen, noch nicht ganz Mentor, Mediator, Masseur, der dich wo hin bringt. Dass aber, im Jammertal zwischen Bambuskäfig und Strickwestenpanzer, die historische Hoffnung im Keimen des für uns mittlerweile normalen Spirits des Es- und Sich-Aussprechens liegt, das exerziert der Film Zug um Zug durch, bis zum Schluss mit Schluchzen in der Schlucht am Kwai.