Die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, also zwischen dem, was einer ist und dem, was einer sein möchte, grundiert Florian Hoffmeisters Film „Die Habenichtse“, eine Adaption von Katharina Hackers gleichnamigem, preisgekröntem Roman. Gleich zu Beginn gesteht Isabelle (Julia Jentsch), die eigentliche Heldin der parallel gesetzten, sich schließlich berührenden Handlungsstränge, sie drücke sich gern vor Vorhaben, um sich der Illusion eines gewünschten Seins hinzugeben. Als mäßig erfolgreiche, eher lustlose Grafikdesignerin lebt sie im nicht nur räumlich offenen Haushalt des Berliner Videokünstlers Andras (Aljoscha Stadelmann). Die tatsächliche oder nur scheinbare Durchlässigkeit von Räumen und Beziehungen kollidiert in Hoffmeisters verdichteter Inszenierung des Geschehens gewissermaßen mit dem (unterbewussten) Bemühen der Figuren, Wirklichkeit zu verdrängen. Die Krise der Identität resultiert also nicht nur aus dem Scheitern an eigenen Ansprüchen, sondern auch aus der passiven Leugnung besserer Einsichten.
Das ändert sich mit dem 11. September 2001. Am Tag der schrecklichen Terroranschläge auf das World Trade Center trifft Isabelle bei einer Vernissage Jakob (Sebastian Zimmler) wieder, ihren früheren Liebhaber aus Freiburger Studienjahren. Arrangiert hat diese Begegnung ihr gemeinsamer Freund Hans (Ole Lagerpusch), der wie Jakob als Jurist arbeitet und zu diesem Zeitpunkt zu den Opfern des Terrorangriffs gehört. Als sein Tod Gewissheit ist, schleichen sich unausgesprochen Schuldgefühle in die neu erwachte Beziehung zwischen Isabelle und Jakob, zumal letzterer etwas später Hans‘ Stelle in einer Londoner Kanzlei übernimmt. Bald deutet sich an, dass das merkwürdig verhaltene, reservierte Verhältnis der beiden unter den Bedingungen der neuen Lebenssituation zusätzlich leidet. Jakob wird von seiner Arbeit absorbiert, währen die emotional instabile Isabelle frustriert in den Tag hinein lebt und sich zunehmend ungeschützter mit dem aufdringlichen Drogendealer Jim (Guy Burnet) einlässt.
Florian Hoffmeister konzentriert seinen kunstvollen, analytisch-distanzierten Schwarzweißfilm vor allem auf die ernüchterte Perspektive seiner Protagonistin. Deren prekäre, isolierte Existenz korreliert zunehmend mit ihrer schwierigen sozialen Umgebung und mit den paranoiden politischen Ereignissen draußen in der Welt. Dieses Draußen aus häuslicher Gewalt, Kindesmisshandlung, Drogenkriminalität und Krieg vermittelt Hoffmeister vor allem über die Tonspur. Die Synchronizität der Ereignisse und die Gewalt der Verhältnisse treiben Isabelle, die sich resigniert und desillusioniert in einem uneingestandenen Eskapismus eingerichtet hat, schließlich aus der Deckung. Vielleicht gehe es nur darum, „die Umrisslinie um das eigene Leben“ zu erkennen und „auszufüllen“, gibt sie sich und uns zu bedenken. Zur Aufgabe wird ihr schließlich der Wunsch, ihre Isolation zu durchbrechen und sich anderen zu öffnen, während sich das Schlussbild mit Menschen füllt.