Soll man einen Film beschreiben, indem man in einen Zusammenhang bringt, was man auf der Leinwand gesehen und gehört hat? Drei Stunden lang. Also: einen Mann, eine Frau, ein Kind, eine Wohnung, Wald, Tiere, Schläge, Zärtlichkeit, Gesang. Oder soll man vielleicht lieber von der hier entschieden vollzogenen Abweichung gegenüber dem Konventionellen sprechen? Vom Anderen? Ungewöhnlichen? Irritierenden? Dass lange nicht klar wird, was das Thema des Films von Philip Gröning ist? Ob es überhaupt angeht, dass ein Film sein künstlerisches Repertoire dazu nutzt, um ein Thema auf die Agenda zu setzen? Dass auf eine eindeutige Eskalationsdramaturgie verzichtet wird? Dass der Zuschauer nicht zugetextet wird? Dass ein lineares Erzählen obsolet erscheint?
Philip Gröning erzählt von häuslicher Gewalt, einem virulenten Thema, aber anders als üblich. Ein junger Mann, Polizist von Beruf, fängt irgendwann an, seine Frau zu schlagen. Was meint: Polizist von Beruf? Gleichzeitig kümmern sich beide Elternteile, aber insbesondere aber die Frau, rührend um die gemeinsame Tochter, ein wirklich entzückendes Kind. Was meint: Eltern? Gleichzeitig sieht man das Paar bei spielerischen Interaktionen. Gleichzeitig streichelt der Mann die Hämatome, die er der Frau selbst beigebracht hat.
Verwirrend. Mehr Fragen als Antworten. Denn der Film, der in einzelnen Szenen fast schon mit dokumentarischem Gestus auftritt, ist gleichzeitig formal ausgesprochen streng in 59 Kapitel unterteilt, jeweils mit Aufblende und Abblende, was insgesamt wohl an die 17 Minuten dauert. Dabei geht es nicht um brechtianisch-epische Distanz zum Geschehen, sondern eher um ein Atemholen, das einen Sog entfaltet, gerade, weil man nicht weiß, welchen Ton der Film in der folgenden Szene anschlagen wird. So werden vor dem Zuschauer in aller Ruhe Puzzleteile zum Leben einer Kleinfamilie ausgebreitet, aus dem der Zuschauer sich seinen Film, seine Erzählung zusammenbasteln muss, darf, kann.
Diese Freiheit schafft der Film, indem er geduldig, aber unnachgiebig Erzählkonventionen nicht dekonstruiert, aber ziemlich provozierend verweigert. Man ist gefordert. Der Film verweigert sich nicht dem Erzählen, aber er verlangt vom Zuschauer, genau hinzuschauen und sich nicht vorschnell mit dem Üblichen abfüttern zu lassen. Insofern ist der Film vielleicht sogar weniger eine erstaunlich differenzierte Auseinandersetzung mit der Dialektik von Liebe und Gewalt, weniger eine philosophische Intervention, was es bedeutet, Mensch zu sein und als Mensch zu handeln, sondern zuerst einmal ein Versuch, dem Zuschauer die Chance und das Glück zu ermöglichen, im Kino eine Erfahrung zu machen.
Ulrich Kriest hat mit Philip Gröning auch ein Gespräch geführt.