Der kleine Tod

(AUS 2014; Regie: Josh Lawson)

Morbides Liebesglück

Man könnte sagen, viele Menschen leiden unter dem Problem, keine erfüllte Sexualität zu erleben und damit auch keine befriedigende Beziehung. Zumindest in Josh Lawsons schwarzhumorigem Episodenfilm „Der kleine Tod“ ist das so, der auf originelle Weise die sexuellen Neurosen einer Reihe von Paaren im besten Alter beschreibt. Einerseits möchte der australische Schauspieler und Regisseur in seinem Spielfilmdebüt „Sex nicht immer so ernst nehmen“; andererseits beansprucht er, einen „Kommentar auf die heutige Gesellschaft und über unsere Vorstellung von Normalität“ zu formulieren. Seine teils abgründigen Geschichten, in denen relativ unverkrampft und offen bizarre Phantasien und sexuelle Perversionen dargestellt werden, besitzen also einen ernsten Kern, der auf die Mitte der Gesellschaft zielt. Lawsons Travestien der Liebe und Lust setzen sich dabei in immer wieder überraschenden Wendungen gegen mögliche Erwartungshaltungen der Zuschauer.

Die gesellschaftlichen Spiegelungen, die Josh Lawson aus den sexuellen Abweichungen seiner Protagonisten ableitet, sind nicht immer leicht auszumachen und besitzen mitunter einen doppelten Boden. In einer um Dacryphilie (d. i. die sexuelle Erregung, die aus der Betrachtung einer weinenden Person resultiert) kreisenden Episode etwa leiden Rowena und Richard unter einem unerfüllten Kinderwunsch. Doch eigentlich erlebt Rowena keinen Orgasmus. Das ändert sich erst, als sie die Tränen ihres Mannes, ausgelöst durch den plötzlichen Tod seines Vater, als sexuelles Stimulans entdeckt. Fortan ist sie bestrebt, Richard durch Täuschungen und gemeine Listen zum Weinen zu bringen. Der kleine Tod des Orgasmus bezieht seine vitale Energie hier also aus der schmerzlichen Erfahrung von Verlust und Trauer. Als Bruder des Schlafes wiederum ist die Todesphantasie in Phils erkalteter Ehe mit Maureen gegenwärtig. Denn nur noch das Bild seiner schlafenden Frau, an dem sich Phil in langen Nächten ergötzt, verschafft dem immer müder werdenden Familienvater eine Art morbides Liebesglück.

Verstärkt und zusammengehalten werden diese Episoden einer dunklen Sexualität von einem vorbestraften, weitgehend unbeachtet bleibenden und deshalb latent bedrohlichen Sexualverbrecher, der sich mit selbstgebackenen (den politisch inkorrekten Namen tragenden) „Golliwogs“ in der Nachbarschaft vorstellt und outet. So etwa bei Paul (von Lawson selbst gespielt) und Maeve, die davon träumt, von ihrem Mann als einem „Fremden“ vergewaltigt zu werden; oder auch bei Evie und Dan, die mit skurrilen Rollenspielen ihrem Sexualleben neue Impulse geben wollen. Doch für Dan wird das Spiel immer mehr zum Fetisch, an den er sich verliert.

Überhaupt ist die Selbstinszenierung von Rollen, befördert durch Lügen, Täuschungen oder aber gezielt hergestellte Fiktionen ein Leitmotiv der insgesamt fünf alternierend miteinander verschränkten Episoden. So visualisiert schließlich Monica, die als „Dolmetscherin“ für Gebärdensprache bei einem Telefondienst arbeitet, die schmutzigen Phantasien eines jungen, taubstummen Comic-Zeichners, für den sie mit einer Sex-Hotline kommuniziert. Dabei verlieben sich die beiden ineinander. Und es liegt eine Mischung aus leiser Wehmut, aufkeimendem Liebesglück, aber auch subtil grausamer Bedrohung über der Szene, wenn Monica, innerlich bedauernd, das unverhofft magische Gespräch beendet und auf dem Heimweg nach einer Autopanne dem Sexualstraftäter begegnet.

Benotung des Films :

Wolfgang Nierlin
Der kleine Tod
(The Little Death)
Australien 2014 - 95 min.
Regie: Josh Lawson - Drehbuch: Josh Lawson - Produktion: Stephen Boyle, Jamie Hilton, Phil Hunt, Michael Petroni, Josh Pomeranz, Michael Pontin, Matt Reeder, Compton Ross - Bildgestaltung: Simon Chapman - Montage: Christian Gazal - Musik: Michael Yezerski - Verleih: Weltkino - FSK: ab 12 Jahren - Besetzung: Bojana Novakovic, Josh Lawson, Damon Herriman, Ben Lawson, Tasneem Roc, Lisa McCune, Lachy Hulme, Kate Mulvany, Patrick Brammall, T.J. Power, Stephanie May, Kate Box, Darren Gallagher, Erin James, Zoe Carides
Kinostart (D): 09.04.2015

DVD-Starttermin (D): 30.11.-0001

IMDB-Link: http://www.imdb.com/title/tt2785032/