Eigentlich hat der kleine Hobbit keine große Lust auf eine kolossale Reise. Es mag am schlichten Gemüt Bilbo Beutlins (Martin Freeman) und seiner Vorfahren liegen, dem Reisen die heimische Hobbithöhle vorzuziehen. Vielleicht ahnt er aber auch, dass das bevorstehende Abenteuer, an dessen Ende ein gefährlicher Kampf gegen den Feuer speienden Drachen Smaug stehen soll, reichlich Potenzial für endlose Wanderungen über Bergketten und sich wiederholende Bedrohungsszenarien bereithält. So bleibt Bilbo Beutlin bei seinem sturen Nein auch dann noch, als ihm aufdringlich ulkige Zwerge die Tür einrennen, es sich gemeinsam mit Gandalf dem Zauberer in Wohnzimmer und Vorratskammer der Hobbithöhle gemütlich machen und irgendwann am Abend zu allem Überfluss ein Lied anstimmen, damit der Hobbit endlich nachgibt und die unerwartete Reise ihren erwarteten Anfang nehmen kann.
Diese Szenen sind schwer zu ertragen, zeugen sie doch vom verzweifelten Versuch des Regisseurs Peter Jackson, dem kindlichen und humorvollen Charakter der Romanvorlage J. R. R. Tolkiens gerecht zu werden. Während letztere quasi als Vorbereitung auf „Der Herr Ringe“ ein größeres Universum zwar erahnen lässt, jedoch nicht ausformuliert, streben Jackson und seine Drehbuchautoren in der filmischen Erzählung eine Ausführlichkeit an, die das knapp 400 Seiten umfassende Kinderbuch in ein überaus ernstes und bisweilen düsteres, dreiteiliges Epos von jeweils mehr als zweieinhalbstündiger Dauer verwandelt.
Dass Jackson die Reise trotz des holprigen und stellenweise unfreiwillig komischen Beginns im Folgenden gut im Griff hat, ist maßgeblich den gelungenen Action-Sequenzen zu verdanken, die in schöner Gleichmäßigkeit übereinandergeschichtet werden. Hier fliegt die entfesselte Kamera ein ums andere Mal durch den Raum, sodass schnell klar wird, wo der Film sein Zentrum hat. Und dass das durchaus eine Kunst ist, verrät schon ein Blick auf das oftmals minutenlange, fleischige Getümmel anderer Fantasy-Züchtungen wie „Zorn der Titanen“ (Regie: Jonathan Liebesman) oder „Krieg der Götter“ (Regie: Tarsem Singh).
Die Zielgruppe der Herr-der-Ringe-Verfilmungen fest im Blick, ist die erzählerische Gigantomanie mit einem Detailreichtum gezeichnet, der die rührende Verliebtheit Jacksons in das tolkiensche Universum widerspiegelt. Doch etwas an den Bildern irritiert das Auge, was insbesondere abseits des Spektakels in den ruhigen, erzählerischen Momenten des Filmes deutlich wird. Hier offenbart der Film einen Mangel an Figurenzeichnung, wenn den Zuschauer das Schicksal der Zwergenbande relativ kalt lässt: Im Gegensatz zur reisenden Gesellschaft in „Der Herr der Ringe“ fällt die Identifikation mit dem bunt gemischten Haufen rund um den grimmigen Thorin nämlich schwer. Einzig Bilbo Beutlin erscheint als dreidimensionaler und sich kontinuierlich verändernder Charakter. Schwerer wiegt jedoch, dass vielen Szenen trotz oder gerade wegen Jacksons Detailversessenheit immer eine hohe Künstlichkeit anhaftet, welche durch Anwendung eines neuen Aufnahmeverfahrens noch verstärkt wird.
Um der Akribie in Erzählung und Ausstattung auch in ästhetischer Hinsicht gerecht zu werden, wurde „Der Hobbit“ erstmals mit 48 anstatt wie bisher mit 24 Bildern pro Sekunde gedreht (High Frame Rate), wodurch (insbesondere bei Bewegungen) noch einmal wesentlich schärfere Resultate erzielt werden können. Doch die von Jackson angestrebte Genauigkeit führt zu einer „hyperrealen Überschärfe und Überdeutlichkeit“ (Byung-Chul Han), in der die Bilder ihr Geheimnis verlieren und die Welt des Bilbo Beutlin als Kulisse entlarven. Es entsteht ein Soap-Opera-Effekt, unter dem die Hobbithöhle aussieht wie das Bühnenbild einer deutschen Vorabendserie. Immer wieder stolpert der Blick über das billige Material, aus dem das Auenland gezimmert wurde oder bleibt am deutlich erkennbaren Make-up der Gesichter kleben. In ihrer Gemachtheit stellen sich die überscharfen Bilder so sehr aus, dass sich in ihnen das Kinobild gewissermaßen selbst aufhebt. Die erhöhte Bildschärfe führt nicht zu einer größeren Nähe zur erzählten Welt und den Figuren, sondern zu bloßer Distanzlosigkeit, in der jede Fantasie eliminiert wird, die sich im Kino als Bereitschaft darstellt, das Gezeigte für die Dauer des Filmes als Wirklichkeit anzunehmen. Was bleibt, ist eine pornografische Brillanz der Bilder, die viele Reize, aber jenseits des Spektakels eben keine Intensität mehr besitzt.
Der Hang zu immer klareren Bildern ist primär freilich als Strategie zur Erhöhung von Schauwerten im Kontext der in Bedrängnis geratenen Institution Kino zu verstehen. Die Überschärfe kann jedoch auch als Ausdruck der allgemeinen Forderungen der Gesellschaft nach mehr Transparenz gedeutet werden. Es ist demnach auch kein Zufall, dass die Entstehung von WikiLeaks, die Debatten um „Post Privacy“, die Verbreitung von Sicherheitskameras oder die Entstehung der Piratenpartei zeitlich etwa mit dem HDTV-Boom in den Wohnzimmern und der Digitalisierung der Kinos zusammenfallen. In diesem Sinne gehorcht beispielsweise auch die Wiederauferstehung der 3D-Technik der Maxime größtmöglicher Sichtbarmachung.
Wenn „das Pathos der Transparenz, das die heutige Gesellschaft erfasst“ nach Byung-Chul Han Resultat eines Mangels an Vertrauen (in die politische Macht) ist, dann kann die derzeitige Evolution der Kino- und TV-Technik als Reaktion darauf und vor allem als Ausdruck eines mangelnden Vertrauens in die Bilder verstanden werden. Somit ist „Der Hobbit“ (gedreht in HFR und 3D) der derzeit technisch brillanteste Film, der zugleich vom Misstrauen gegenüber den persuasiven Bildern des Kinos erzählt.