Man sollte David Bowie nicht vorschnell abschreiben! Selbst einer seiner schwächeren Songs aus den achtziger Jahren wie „Modern Love“ entfaltet noch hinreißende Wirkung, wenn er – wie in „Frances Ha“ – zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Film eingesetzt wird. Während die sehr erfolgreiche Multi-Media-Show „David Bowie Is“ nach den Stationen London und Berlin mittlerweile in Chicago gastiert, kann man jetzt im Kino noch einmal die Einladung zu einer kommentierten Führung durch die reich ausgestatteten Ausstellungsräume des Londoner Victoria and Albert Museums annehmen. Es lohnt sich, denn bekanntlich hatten die Kuratoren Zugriff auf Bowies private Archive und deren Reichtum macht auch deutlich, dass Bowie bei seiner vielschichtigen Inszenierung als Pop-Star und Identitäten-Sammler nichts dem Zufall überließ, weshalb die Erzählung hier mit schwarz-weißen Filmdokumenten des Babys David Robert Jones beginnt.
„David Bowie Is“ – schon der Titel der Ausstellung offenbart, das es hier weniger darum geht, sich einen analytischen Reim auf das künstlerische Chamäleon David Bowie zu machen, sondern vielmehr die wechselnden Identitäten dieser sehr speziellen Karriere staunend zu begleiten und zu würdigen. Im Film ist das nicht anders: Geht es um frühe musikalische Einflüsse, bekommt man einen Kurzauftritt von Little Richard gezeigt. Die musikalischen Gehversuche vor „Space Oddity“, die auch schon von einigem Eigensinn zwischen Popsong und Vaudeville geprägt sind, tauchen nur am Rande auf, verkürzt auf ein paar Fotos und Plattencover. Anschließend schöpfen Ausstellung wie Film dann aus dem Vollen, denn von jetzt an sind die Inszenierungen von David Bowie als „Major Tom“, „Starman“, Ziggy Stardust, Aladdin Sane oder „The Thin White Duke“ bestens dokumentiert. Die Ausstellungsmacher erzählen von ihrer Konzeption bestimmter Räume und eingeladene Gäste wie der Mode-Designer Kansai Yamamoto oder der Ex-Pulp-Frontmann Jarvis Cocker halten kurze Referate und kolportieren Anekdoten, die aber dem, was man längst über David Bowie wissen kann, wenig hinzufügen.
Punkt für Punkt werden die Karriereschritte illustriert und abgehakt: die wichtigen frühen Jahre, als Bowies androgynes Erscheinungsbild bei einer ganzen Generation von Fans existentielle Fragen mit ganz neuen Antworten konfrontierte und wahrscheinlich sehr viele Biografien nachhaltig beeinflusste, die „Berliner Jahre“ mit ihren musikalischen Experimenten, deren Resultat – die Album-Trilogie „Low“, „Heroes“ und – verspätet -„Lodger“ – mancher für den popmusikalischen Höhepunkt der 1970er Jahre hält. Was Bowie zwischen 1969 und 1978 anstellte, revolutionierte die Pop-Musik nachhaltig und machte sie tendenziell zu einer Form von Konzeptkunst. Bowie bewies ein Jahrzehnt lang untrügliches Gespür für den nächsten Karriereschritt, entwarf und kontrollierte mit großem Aufwand die gewählte Persona und dürfte tatsächlich der einflussreichste Künstler der 70er Jahre gewesen sein, zumal er als multimedial arbeitender Künstler auch in Kinofilmen wie „Der Mann, der vom Himmel fiel“, „Begierde“ oder „Labyrinth“ in Erscheinung trat.
Als Leitmotiv jener Jahre zitieren Ausstellung wie Film den Künstler selbst: „All art is unstable. It’s meaning is not necessarily that implied by the author. There is no authoritative voice. There are only multiple readings.“ Für Literaturwissenschaftler eine Binse, in der Popmusik wohl die Revolution. Der Film schreitet die Räume der Ausstellung ab, fängt das Staunen der Besucher über Bowies kindliche Handschrift ein, staunt über die von Bowie mitkonzipierten Bühnenoutfits, präsentiert den kreativen Texter, der die Sprache selbst zum Arbeiten bringt, dokumentiert Foto-Sessions, zeigt Bühnenmodelle, Musikinstrumente, Platten-Cover und erinnert an die Quellen, aus denen Bowie schöpfte: die Expressionisten, die Pantomime, Warhol, Kubricks „2001“ und „A Clockwork Orange“.
Ab Mitte der 80er Jahre verlor Bowie den Faden, veröffentlichte Halbgares und zog sich nach einem Herzinfarkt für Jahre aus der Öffentlichkeit zurück. 2013 überraschte er dann mit einem medienwirksam inszenierten Comeback-Album und dem selbstironischen und leicht nostalgischen Videoclip „The Stars Are Out Tonight“ – und denkt man die internationale „Blockbuster Exhibition“ „David Bowie Is“ und diesen Kino-Führer hinzu, dann ist Bowie, ein älterer Herr mittlerweile, gerade wieder sehr „da“. Multimedial und auf der Höhe der Zeit. Wiewohl er dafür nicht einmal persönlich in Erscheinung treten muss. Wer die Ausstellung in London oder Berlin gesehen hat, kann sie jetzt noch einmal im Kinosaal vergegenwärtigen. Wer erst jetzt auf den Geschmack kommt, sollte demnächst Reisen nach Paris oder Groningen ins Auge fassen.