Es ist ein Bild von monumentaler Größe: Ein überdimensionales Kreuzfahrtschiff schiebt sich langsam wie ein Raubtier auf Beutefang, in die Flucht einer beschaulichen Gasse Venedigs und überragt die zierlich schiefen Häuser der historischen Stadt; fast so, als würde es diese jeden Moment zermalmen. An Bord des Liners tummeln sich Urlauber, die in einem Stakkato die Welt bereisen, ohne genau zu wissen, in welchem Land sie gerade sind und die die Reise erst viel später und anhand der geschossenen Fotos rekonstruieren. Und es gibt immer mehr von diesen „Take-away-Touristen“, wie sie ein Venezianer an einer Stelle von Andreas Pichlers Dokumentarfilms „Das Venedig Prinzip“ nennt. So viele, dass die Reedereien in Zukunft noch größere Schiffe mit noch mehr Passagieren in die Lagunenstadt befördern wollen, in der schon jetzt täglich so viele Touristen durch die engen Gassen flanieren, wie es noch Einwohner gibt.
Dieses Bild des einlaufenden Schiffes beherrscht den gesamten Film. Umgekehrt würde man vom Schiff aus wahrscheinlich eine traumhafte Anfahrt auf die romantischste Stadt der Welt erleben. Und es sind gerade diese Blicke, mit denen der Film spielt, die er immer wieder verkehrt und vergleicht um Kontraste herauszuarbeiten, ohne dabei auf die Postkartenmotive zurückzugreifen, die jeder kennt. So treibt der Film ein zauberhaftes Spiel mit den Gegensätzen, die diese Stadt lähmen.
Zum Beispiel der Immobilienmakler, der uns durch eine Geisterstadt führt und Wohnungen zeigt, die er, aufgrund der maroden Bausubstanz, eigentlich nicht verkaufen könnte und für seine Kunden doch in schwärmerischen Worten beschreiben muss, während draußen romantisierte Pärchen in der Gondel vorüberfahren, von den schönen Häusern schwärmen und von „echten“ Italienern ein Ständchen gesungen bekommen, – die im Anschluss in tristen Räumen den durchschnittlichen Touristen beschreiben und das Spiel mit ihm entlarven.
Auf diese Weise nutzt der Film seine Protagonisten geschickt, um von den Träumen zu erzählen, von denen Venedig lebt und die deshalb um jeden Preis aufrecht erhalten werden müssen. Doch die Träume der Besucher sind alles, was der Stadt noch bleibt, denn die jungen Leute ziehen aufs Festland, weil die Mieten steigen und im Umkehrschluss die Läden und Märkte schließen, da ihnen die Kundschaft fehlt. Wer keine Gondel, keinen Souvenirshop oder kein Hotel besitzt, hat keine Überlebenschance in diesem historischen Vergnügungspark, wie ein Bewohner der Stadt, der den Touristen stattdessen ein Foto mit sich anbietet, ironisch vor Augen führt.
Mehr von dieser direkten Auseinandersetzung hätte dem Film sicher gut gestanden, allein schon um dem ewigen Untergangsmythos Venedigs, dem auch der Film allzu gern verfällt, entgegenzuwirken. Die Stadtverwaltung, der die Hände gebunden zu sein scheinen oder die bereitwillig wegschaut und die Perspektive der Tourismus-Konzerne, die in Venedig Millionen verdienen, bleiben außen vor. Vieles überlässt der Film dem Zuschauer, zum Beispiel auch an all die Kunstschätze zu denken, die langsam ins Meer erodieren. Auch erste Erfolge der Bürger im Kampf gegen den Ausverkauf der Stadt blendet der Film aus. Stattdessen gibt es romantisch-apokalyptische Bilder des alljährlichen Acqua alta, welche noch einmal die Bedrohungslage Venedigs verdeutlichen sollen, mit der die Stadt schon immer Geld verdient hat.
Durch diesen riskanten Verzicht gelingt es dem Film jedoch, das beschriebene Prinzip, der Titel deutet es an, universeller zu erzählen und auf andere Städte übertragbar zu halten, deren Innenstädte ebenfalls langsam ihrer Bewohner entledigt werden, um Platz zu machen für die 'Barbaren' (wie eine betagte Protagonistin die Touristen im Film nennt), die dann nur für einen Tag kommen oder ihre teuer gekauften Wohnungen nur an Weihnachten nutzen. In Venedig tritt dieses allgemeine und mittlerweile sich immer weiter verselbstständigende Prinzip des Ausverkaufs eines globalisierten Turbotourismus nur am deutlichsten zu Tage und bietet so, wie nebenbei, die eindrucksvollsten Gegensätze.