Mit ihrem Spielfilm über Ulrike Meinhof ist die linke Filmemacherin Charlotte selbst nicht ganz glücklich: ihr radikaler Ansatz verläpperte sich, die Hauptdarstellerin zickte herum, ein alter Genosse bemängelt, dass der Film „total im Melodram hängengeblieben“ sei. Um künstlerisch wieder Boden unter die Füße zu bekommen, entschließt sich Charlotte spontan, einen Dokumentarfilm über die Armut alleinerziehender Mütter zu drehen. Ein billiger Film soll es werden, gedreht mit ganz kleinem Team. Leider hat Charlotte keine Ahnung, wo man diese Mütter findet und wie man sie anspricht. Also entschließt sie sich zum gewohnten Vorgehen und lädt zum Casting ein.
Hier kommt die unter prekären Bedingungen lebende Schauspielerin Gloria ins Spiel, die seit Jahr und Tag mit ihrer nicht sonderlich begnadeten Off-Off-Theatertruppe eine Handvoll Zuschauer beglückt. Leider weiß Gloria von der sozialen Realität alleinerziehender Mütter so wenig wie Charlotte und ihr Team, weshalb sich Gloria eine Legende zulegt, die es in sich hat: Alkohol, Gefängnis, Vergewaltigung hinter Gittern, schwangere, minderjährige Tochter, häusliche Gewalt, Hartz-4. Klar, dass Gloria »die Rolle« bekommt. Die Dreharbeiten gestalten sich schwierig. Um ihre Rolle auszufüllen, muss Gloria etwas tun, was sie auch sonst gerne tut, obwohl sie es nicht kann: sie improvisiert und inszeniert Realität mit den Mitteln des Off-Theaters radikal ins Absurde. Das Filmteam ist begeistert: so etwas Authentisches könne man ja wohl gar nicht inszenieren! So treffen hier zwei Vorstellungen – von Theater und Film – Authentizität suchend aufeinander, grotesk, Funken schlagend.
Aufgrund der Fallhöhe von Glorias fiktiver Biografie bekommen nach und nach sämtliche Mitglieder der Theatertruppe ihren Platz vor der Kamera, mal als gewalttätiger Ex-Ehemann, mal als krimineller Freund der Tochter, mal als Junkie. Während die Theaterschauspieler beginnen, über die möglichen Wünsche der Filmzuschauer nach etwas Positivem nachzudenken und diesen Wünschen vor der Kamera entgegenkommen, entdeckt das Filmteam die ästhetischen Möglichkeiten der dokumentarischen Form und experimentiert mit kunstgewerblichen Filmzitaten. Der Humor, der aus dem Zusammenprall der Kulturen erwächst, ist nicht immer subtil, aber dafür ungeheuer treffsicher. Wenn sich beispielsweise ein Schauspieler bei seiner Rolle von „Taxi Driver“ inspirieren lässt, findet die Ton-Assistentin soviel Verruchtheit echt sexy. Schließlich fliegt der Schwindel auf – und dann rächt sich das brüskierte Filmteam, indem es Glorias Fiktion in die Pflicht nimmt. Wann im „Reality Format“ die Dreharbeiten beendet sind, bestimmt das Filmteam, nicht der Darsteller.
So verdeutlicht der Film nicht nur die abgründige Macht-Konstellation, die dem Reality-Format innewohnt, sondern auch, wie der Gier nach Authentizität die Wirklichkeit abhanden kommt, weil sie nur noch imaginiert wird. Übrigens: man sollte am Schluss im Kino sitzen bleiben, denn der Film hält noch eine letzte Volte bereit. Wenn im deutschen Film gar nichts mehr geht, dann gibt es immer noch die Option der Literaturverfilmung. Großartig!