Weil am Kreuz hängen die Hölle ist, steigt eine lebensgroße Christusfigur in einem bayerischen Kloster von ihrem Kreuz herab und will versuchen, fortan als Mensch zu leben. Die Oberin des Konvents nimmt sich des Herabgestiegenen an und ernennt ihn in Anlehnung an ihren eigenen Titel zum Ober, ein Job in der klostereigenen Kneipe ist auch schnell gefunden. Doch das Zusammenleben von Ober und Oberin soll sich als schwierig erweisen und eine Menschwerdung in München scheint immer unmöglicher …
Anfang der achtziger Jahre war der Skandal um den Film groß (und bescherte Herbert Achternbusch seinen größten Publikumserfolg); die Springerpresse stichelte gegen die staatliche Filmförderung, mit deren finanzieller Unterstützung auch „Das Gespenst“ entstanden ist, die FSK verweigerte zunächst sogar die Freigabe, zu pessimistisch und nihilistisch sei der Film. Auch die katholische Kirche mit ihrem Hang zur Beanspruchung der Bildgewalt empörte sich lautstark über die vermeintliche Blasphemie, aber immerhin die Jury der evangelischen Filmarbeit zeichnete Achternbuschs Werk als „Film des Monats“ aus und bewies mit ihrem Hinweis auf die Filme Buñuels Sachverstand.
Dass der Film von Jesus Christus erzählt, ist dabei ein grobes Missverständnis und somit läuft sowohl der Vorwurf der Blasphemie als auch die Vereinnahmung von religiöser Seite ins Leere. Was hier vom Kreuz steigt, um als Mensch zu leben, ist bloßes Abbild eines Herrgotts, bemerkenswerterweise die 42. von 41 im Kloster befindlichen Christusfiguren. Dieser Post-Jesus ist ein Simulacrum und kann sich nicht daran erinnern, jemals in Jerusalem gewesen zu sein, geschweige denn Wasser in Wein verwandelt zu haben. So handelt der Film nicht von Gott, sondern stellt bestenfalls die Frage nach dem Gottesbegriff in einem postmodernen Deutschland, nicht einmal 40 Jahre nach dem Holocaust.
Mehr als an einen Messias erinnert Achternbuschs Jesus eh an einen Clown in der Tradition des absurden Theaters: Der Ober wirkt gutmütig und naiv in seiner Unfähigkeit, die Unsinnigkeit seiner Bemühungen anzuerkennen, wie bei Ionesco ist sein „Leiden nichts als tragischer Spott“. Die Forderungen, die der Mensch stellt und die an ihn gestellt werden, sind grotesk und unerfüllbar. Nicht einmal der Wunsch nach Scheiße lässt sich noch befriedigen, der Fäkalhumor bleibt so trotz allerlei Bemühungen aufs Verbale beschränkt; wo alles Handeln zum Scheitern verurteilt ist, da dominiert die Sprache, um Bewegung und Fortschritt zu simulieren. Doch soviel im Film auch geredet werden mag, es bleiben Leerstellen, die Dialoge dienen nicht der Verständigung, sondern demonstrieren Ohnmacht. Sie kreisen immer wieder um sich selbst, führen ins Leere oder fallen auf sich selbst zurück. Je mehr die Figuren über sich selbst sprechen, umso deutlicher wird, dass sie sich selbst und einander unverständlich bleiben. Was können Gespenster schon sagen außer Gespenstisches?
Gespenstisch ist auch die Welt mit ihren bühnenhaften Innenräumen, ein Eindruck, der durch lange, unbewegte Einstellungen noch verstärkt wird. Wie eingekapselt wirken die Figuren, ein Außen scheint es nicht zu geben. Das Telefonklingeln ist ein Telefonklingeln und nicht etwa ein Anruf, das betont künstliche und vollkommen hysterische Vogelgezwitscher verweist mehr auf das Vorhandensein der Tonspur als auf einen Garten vor dem Fenster. Ein Weg raus ist nur der Tod, hier ein unpathetisches Kippen aus dem Bildrahmen. Wenn Ober und Oberin am Ende an der Gesellschaft der Menschen gescheitert sind, wählen sie aber nicht den Tod, sondern die Verwandlung zum Tier; die Greifvogel-Oberin packt den Schlangen-Ober und sie fliegen auf – aber nicht davon. Wie eine Fliege schwirren sie in der Ferne, immer im Kader, gefühlte Minuten lang. Eine Erlösung ist das nicht, auch kein Aufbruch in den Sonnenuntergang. Am Ende von „Matrix“ heißt es aus dem Mund eines anderen vermeintlichen Messias vor dessen Davonflattern hoffnungsfroh: „I’ll show you a world, where everything is possible. The choice is up to you.” Achternbusch gönnt uns nur ein lakonisches „Amen“.