Blutrot ist der Bühnenhintergrund in der Schlussszene dieser Aufführung von William Shakespeares Tragödie „Julius Cäsar“, wenn der „ehrenwerte“ Verschwörer Brutus (Salvatore Striano) seine Getreuen bittet, ihn zu töten. Starke Männer mit durchdringenden Blicken und einer schweren, dunklen Vergangenheit stehen ihm gegenüber. Sie alle sind Strafgefangene der römischen Haftanstalt Rebibbia, wo sie aufgrund der Schwere ihrer Verbrechen im Hochsicherheitstrakt interniert sind. Nur einer unter ihnen, der die Rolle des Strato spielt, weigert sich nicht, den tödlichen Dolchstoß zu führen. Dann fällt der Vorhang einer umjubelten Aufführung. Doch während sich für das Theaterpublikum die Gefängnistore öffnen, kehren die Gefangenen in ihre Einzelzellen zurück. Die Ahnung der Freiheit, gewonnen im Spiel, und ein verändertes Bewusstsein nehmen sie mit: „Seitdem ich weiß, was Kunst ist, ist diese Zelle ein Gefängnis geworden“, sagt einer von ihnen.
Paolo und Vittorio Taviani, die Altmeister des italienischen Kinos, haben diese Szene an den Anfang und an das Ende ihres mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Films „Cäsar muss sterben“ gesetzt. Dazwischen dokumentieren sie, in Schwarzweiß gedreht, die Probenarbeiten an wechselnden Orten der Strafanstalt, die mit ihrer Beton-Architektur, dem begrenzten Raum und reduzierten Mitteln eine äußerste Konzentration auf Text und Spiel bewirkt. Bereits das Casting sechs Monate vor der Aufführung, bei dem die Bewerber zwei gegensätzliche Stimmungen spielen, zeigt ausdrucksstarke Mimen, die zu einer enormen Gefühlsverdichtung fähig sind. Sie alle haben schon Einiges erlebt, was sich Körper, Gesicht und Stimme eingeprägt hat und in der Konfrontation mit Shakespeares Text nach Ausdruck verlangt. Nicht umsonst fordert sie der Regisseur auf, in ihrem je eigenen Dialekt zu sprechen und eigene Ideen in die Inszenierung einzubringen.
Nach der Rollenverteilung werden zunächst ihre Namen, dann ihre Delikte, die vom Drogenhandel bis hin zum Mord reichen, und schließlich ihr jeweiliges Strafmaß eingeblendet. Während sie im Folgenden Text und Stück erarbeiten und dabei ein hohes Maß an Eigeninitiative und Disziplin zeigen, kommt es immer wieder zu Interferenzen. Das eigene Leben mit seinen Erfahrungen mischt sich ein und führt so zu einem produktiven, Reibungen erzeugenden Austausch mit der Kunst. Immer wieder auch treten die Schauspieler aus ihren Rollen, um ihr Tun zu reflektieren, was mitunter etwas künstlich wirkt. Doch nicht zuletzt durch eine dramatisch-wuchtige Musik, eine ausgeklügelte filmische Inszenierung und die dramaturgisch geschickte Integration realer Schauplätze ins Probengeschehen fiktionalisieren die Brüder Taviani auf eindrucksvolle Weise das dokumentarische Material. So wird der Gefängnishof zum Forum, auf dem der tote Cäsar aufgebahrt liegt, während die Strafgefangenen in der Rolle des römischen Volkes hinter ihren vergitterten Fenstern „Freiheit“ skandieren.