Die Pet Shop Boys und New Order, Verdi („Nabucco“, „La forza del destino“ und „Attila“), Puccini („Madama Butterfly“), Richard Strauss („Eine Alpensinfonie“) und, natürlich, Wagner („Siegfrieds Trauerzug“ und „Das Rheingold“). Die Filmgeschichte betreffend: „A Clockwork Orange“ („Uhrwerk Orange“, 1971; Stanley Kubrick) und „Chopper“ (2000; Andrew Dominik), „Shock Corridor“ (1963; Samuel Fuller), „Scum“ („Abschaum“; 1979; Alan Clarke) und „Ghosts… of the Civil Dead“ („Willkommen in der Hölle“; 1988; John Hillcoat), britische Gangsterfilme wie „Villain“ (1971; Michael Tuchner) und „The Long Good Friday“ („Rififi am Karfreitag“; 1980; John Mackenzie) und, natürlich: Charles Bronsons stoisch-verschlossene Männlichkeit, etwa aus Michael Winners „Chatos’s Land“ (1972) oder Walter Hills „Hard Times“ („Ein stahlharter Mann“; 1975). Dazu: Vaudeville, Episodenstruktur, Schockstrategien. Eigentlich sagt das schon alles über diesen Film: disparate Einzelstücke der populären und der legitimen Kultur, vermischt zu einem antiorganischen Gebräu. Ein Ganzes ergibt sich daraus nicht, soll es auch nicht, warum auch?
Der 39-jährige Däne Nicolas Winding Refn hat sich in seinen frühen Filmen, in der „Pusher“-Trilogie (1996-2005) und in „Bleeder“ (1999) an Regisseuren wie Martin Scorsese orientiert, an der Unmittelbarkeit von Mean Streets“ („Hexenkessel“; 1973), an der selbstzerstörerischen, dislozierten Männlichkeit von Figuren wie Jake La Motta in „Raging Bull“ („Wie ein wilder Stier“; 1980). Die Protagonisten Refns leben und sterben in einer grauen, kalten Welt, in der ihr Wissen um die Popkultur ihnen keine Orientierung bietet. In „Bleeder“ stehen diese Thirtysomethings in einer abgeranzten Videothek herum und zitieren sich durch die abseitigen Regionen der Filmgeschichte, aber in ihren Beziehungen, als Ehemänner, Partner oder Väter oder auch nur halbwegs kompetente zwischenmenschliche Kommunikationspartner, versagen sie völlig. Sie treffen konsequent die falschen Entscheidungen und versauen sich damit ihr Leben, das sowieso einer Sisyphusaufgabe gleichkommt.
„Bronson“ ist Refns sechster Spielfilm und auch er erzählt von einem gewalttätigen Loser. Der Brite Michael Peterson (Tom Hardy) überfällt 1974 mit einer abgesägten Schrotflinte einen Laden und raubt gerade einmal 26 Pfund. Er kommt in den Knast und attackiert so oft die Wärter, dass er noch heute dort sitzt. Auf der englischsprachigen Homepage des Films begrüßt uns ein Counter, der berichtet, wie lange Peterson nun schon für die paar Pfund, die er gestohlen hat, einsitzt. In Jahren, Monaten, Tagen, Stunden, Minuten und Sekunden. Es sind 2009 bereits 35 Jahre. Neben seinem Ruf als „Britain’s most violent criminal“ ist der prominente Häftling vor allem unter seinem Künstlernamen „Charles Bronson“ bekannt, den er in einer kurzen Phase der Freiheit für einige illegale Faustkämpfe annahm und dann im Knast beibehielt.
Was treibt einen Mann dazu, sich selbst im Knast zu begraben – und das ist es, worauf dieser „Bronson“ mit jeder neuen Gewaltaktionen abzuzielen scheint? Einen Grund dafür erfahren wir nicht wirklich. Stattdessen: Körperkino. Bronson/Peterson zieht sich aus, rennt gegen die Aufseher und die Wände an, besudelt sich mit Blut, quält einen schwulen Kunstpädagogen, terrorisiert einen verängstigten Wärter. Refn bietet keine Antworten an, nicht einmal einfache. Der Mann Bronson bleibt uns fremd und der Appell auf der Homepage, ihn endlich freizulassen, steht in einem seltsamen Gegensatz zum Film, nach dem man eher das Gefühl hat, der Mann solle uns, bitteschön, doch so lange wie möglich in der Welt draußen erspart bleiben. Wer will schon gerne morgen auf der Straße grundlos von einem glatzköpfigen Muskelpaket mit Retro-Schnauzbart zusammengeprügelt werden, nur damit der wieder zurück in den Knast kommt?
Refn nutzt mehr als in seinen Filmen zuvor distanzierende und verfremdende Effekte: Einige Szenen sind gänzlich in Rot oder Blau getaucht, manche werden in extremem Weitwinkel gezeigt oder nutzen lange Parallelfahrten. Auch die voice-over Bronsons ist keine objektive, ordnende Instanz, sondern oft selbstgefällig und rhetorisch. Immer wieder sehen wir den Protagonisten bleich geschminkt auf einer Bühne vor Publikum in Abendkleidung. Da steht er dann im Anzug, isoliert vor schwarzem Hintergrund, und hält ungelenk Zwiesprache mit sich selbst. Einmal projiziert Refn dazu dokumentarisches Filmmaterial einer von ihm angezettelten Gefängnisrebellion direkt auf den Schauspieler und den Hintergrund. Auch Hardys zwischen Unbewegtheit und Expressivität changierendes Spiel verweigert Nähe: immer wieder schaltet er sein Lächeln mechanisch an und aus, lässt seine Bewegungen einfrieren oder legt den Kopf ruckartig schief. Häufig zeigt Refn Bronson, wie er entweder im vollen Profil gefilmt aus dem Bildkader starrt oder bedrohlich frontal vor die Kamera tritt, um dann das Publikum direkt anzusprechen.
Ganz zu Anfang des Films verkündet „Bronson“ in die Kamera: „All my life I wanted to be famous.“ Identifiziert er sich deshalb so sehr mit dem Filmstar Charles Bronson? Über den „echten“ Bronson, den, der als Charles Buchinsky 1921 als Sohn litauischer Emigranten in Ehrenfeld, Pennsylvania geboren wurde, schrieb James Dickey, der Autor von „Deliverance“ („Flußfahrt“), trotz seiner gewalttätigen Rollen und seines muskulösen Körperpanzers sei da „always about him a silent and reflective personality hidden somewhere within or beneath a body redolent of the workingman – the coal miner, the factory worker, or the truck driver […] [;] a solid-hewn, aging, tough, essentially moral masculinity is Bronson’s trademark.” Der ikonische Schauspieler Bronson sei „a strong, no-nonsense man whose appeal […] does […] lie […] in his integrity and his great animal vitality.” Er ist aber auch in Filmen wie „Death Wish“ („Ein Mann sieht rot“; 1974; Michael Winner) „a kind of universal avenger – a one-man force against what he considers universal evil”, so Dickey. Wir erfahren nicht, gegen was Michael Petersons / Tom Hardys Interpretation dieses Racheengels auszieht, aber dass der Mann eine allumfassende Wut in sich trägt, steht außer Frage. „Bronson“ ist vor allem eine filmische Metapher für Wut geworden – unbändige, rasende Wut. Und damit trotz aller Distanz ein sehr intensiver Film.
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: Splatting Image, Nr. 79, September 2009